OK… Wo fange ich an? Ganz am Anfang. Die erste Position, die Zidane nach seiner aktiven Karriere im Verein einnahm, war die des Sportdirektors. Normalerweise braucht man für diese Position ein eigenes Scouting Netzwerk, gute Verbindungen zu den entlegendsten Gegenden der Welt. (Hier ein Text zu Sevillas Monchi: http://www.businessinsider.com/ap-m...cer-man-everyone-wants-in-europe-2015-10?IR=T)
So etwas hatte er natürlich nicht, aber ich gehe davon aus, dass der Verein insgesamt gute Strukturen im Hintergrund hat und bei den wichtigsten Transfers entscheidet eh nur der Präsident auf Gutdünken. Das war 2011; ein Jahr später trat er schon wieder zurück.
Die nächste Position, die er innehatte, war die des Co-Trainers unter Ancelotti in der La Decima Saison 2013/14. Co-Trainer werden in jedem Verein anders eingesetzt und daher habe ich kein Problem damit, dass er diese Rolle übernahm. Anscheinend fungierte er als Bindeglied zwischen dem Italiener und dem Team; dafür war er als charismatischer Ex-Spieler und Vereinslegende sehr gut geeignet.
In der folgenden Saison startete er seine Trainerkarriere und das nicht irgendwo, sondern gleich in der höchsten Stufe des Jugendsystems des Vereins. Ohne jemals als Trainer gearbeitet zu haben, mit einer einzigen Saison, in der er einem Trainer auf die Finger geschaut hat. Das ist mehr als ungewöhnlich. Normalerweise steigt man vielleicht bei einer U10 ein, vielleicht bei einer U13, aber nicht höher.
Eineinhalb Jahre später ging es mit Benitez Real Madrid bergab, bzw. man agierte so lange auf einem so niedrigen Niveau, dass eine Trennung die einzig richtige Entscheidung war. Zidane, der Castilla Trainer übernahm; zwar war da die Saison noch sehr lange nicht vorbei, aber jemanden als Interimstrainer zu holen, der die Strukturen im Verein schon halbwegs kennt war keine schlechte Idee mMn. Problematisch dabei war aber, dass er nicht als Interimstrainer kam, er kam mit einem Zweieinhalbjahresvertrag ausgestattet.
Durch eine Verkettung glücklicher/unglücklicher Umstände (je nachdem, wie man das ganze sieht) gelangte Zidane mit sehr wenig Erfahrung und sehr wenigen überzeugenden Leistungen in die Position des Cheftrainers des größten und erfolgreichsten Vereins der Welt.
Und hier kommt eine Eigenart des Fußballs ins Spiel: Während in der Politik dann sehr rasch (und oft voreilig) von Vetternwirtschaft, Nepotismus, Freunderlwirtschaft und Postenschacher gesprochen wird, so ist das Äquivalent im Fußball dazu: „Ja! Eine Vereinslegende kehrt zurück!“
Selbst bei Spielern ist hier immer wieder zu hören, dass Leistungen „bestätigt“ werden müssen, man muss den Platz in der Startaufstellung „verdienen“ uswusf. Nur beim Trainer gilt das anscheinend nicht; noch weniger, wenn es sich hierbei um eine waschechte Vereinslegende handelt. Da heißt es immer, er brauche noch Zeit, es wäre nicht fair ihn schon so früh zu beurteilen.
Fakt ist: Zidane war stand jetzt 4 Spiele länger Cheftrainer bei Real Madrid wie Benitez (29 vs. 25), bei dem sich schlussendlich alle einig waren, dass seine Zeit gekommen war. Bei Zidane hingegen gilt noch der Welpenschutz und ich weiß momentan nicht, wieso. Die Stimmung des Teams ist anscheinend besser (das gibt vielleicht 1-2%), es gibt nicht mehr diese komischen Unterzahlangriffe unter Benitez (was gut ist) und das waren dann auch alle positiven Aspekte. Ich sehe ein miserables Aufbauspiel, ich sehe nicht besetzte Räume im Mittelfeld, ich sehe ein komisches hohes Pressing, bei dem eigentlich nur der Stürmer und die Achter involviert sind und gleichzeitig ein Loch im ZM entsteht. Ich sehe wieder einmal 20,5 Flanken pro Spiel aufscheinen (weniger Flanken, das ist eigentlich ein Punkt, der zu Zidanes Vorteilen gegenüber Benitez zählen sollte).
Das sind allesamt Probleme, die es in ähnlicher Art und Weise auch unter Benitez gab; Probleme, die weder der Spanier, noch der Franzose lösen konnten. Gleichzeitig schaue ich aber zu anderen Vereinen und sehe, wie schnell es dort funktioniert. Guardiolas City funktionierte schon nach der Vorbereitung und hatte schon da ein besseres Aufbauspiel und ihr habt gesehen, WIE schlecht die letzte Saison waren. Klopps Dortmund war am Boden, nach Tuchels erstem Sommer spielten sie schon wieder guten Fußball. Es liegt mMn nicht an der Zeit, es liegt daran, dass Zidane als Trainer nicht gut genug ist. Man muss einfach so ehrlich sein und sagen, dass es der Name des Spielers Zidane ist, der ihn in diese Position gebracht hat und nicht seine Qualifikationen als Trainer, oder seine gezeigten Leistungen (die Castilla Spiele unter ihm waren auch nicht gut).
Seine Kaderpolitik finde ich ebenfalls nicht gut, da gibt es mMn einige wirklich sehr rätselhafte Entscheidungen. Allen voran natürlich die Situation rund um James. Da heißt es oft, er sei eben nicht gut geeignet für sein System. Gut. Das könnte ich verstehen und sogar akzeptieren (wäre ich von ebendiesem System überzeugt), wenn jedoch dann Asensio in die (noch Ronaldo-freie) Startaufstellung rutscht, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Die zwei sind sehr, sehr ähnliche Spielertypen, mit dem Unterschied, dass James einfach 5 Jahre älter ist und Asensio ganz einfach noch nicht das Niveau des Kolumbianers haben kann, egal wie talentiert er ist (und mMn ist er wahnsinnig talentiert!!). Gleichzeitig ist aber bspw. ein Lucas Vazquez sein Lieblingseinwechslungsspieler, der aber in Wirklichkeit kaum mehr macht als die Linie auf und ab zu rennen. Vielleicht wäre er damit ein guter RV, aber ich sehe ganz ehrlich nicht, welchen Mehrwert er der Mannschaft bringt und wieso er so viel Spielzeit bekommt (auch wenn er wahrscheinlich ein netter Typ ist). Ein Kroos ist eigentlich unersetzbar im Kader, er muss aber trotzdem auch bei jedem noch so einfachen Spiel starten. Auch ein Modric bekommt zu viele Minuten und das obwohl ein direkter Ersatz da ist.
Das Ganze ist jetzt nicht einmal als Kritik an Zidane gedacht – denn ganz ehrlich, wer würde diese Jobangebote ablehnen können? – sondern einzig und allein an seiner Einstellung. Ich denke nicht, dass es für seine Trainerkarriere gut ist, denn als Trainer muss man im Stande seine Erfahrungen zu machen, zu experimentieren. Das alles konnte Zidane nie wirklich. Für Real Madrid ist es aus meiner Sicht ganz sicherlich nicht gut.
Ich stimme dir in wirklich Vielem zu, besonders in all den Missständen die du konstatierst.
Zidane vertraut ein großes Stück weit, wie sein "Mentor" mit der hochgezogenen Augenbraue, auf die individuelle Klasse seiner fünfeinhalb Offensivkräfte. Fleißig unterstützt werden diese von den hochrückenden Außenverteidigern, die pro Seite eine Anspielstation mehr im Angriffsspiel darstellen und (gelegentlich) die Flügel hinterlaufen, auch wenn das schon weit ausgeprägter gespielt worden ist, man denke an Heynckes' Bayern 12/13. Komplettiert wird das "System" von einem grobschlächtigen Brasilianer, der sich (im Rahmen seiner Möglichkeiten) aus dem Spielaufbau heraushält in der Defensive dafür sorgt, dass Kroos und Modric wild herausrücken und langsam zurücktraben können.
Somit hängt der Erfolg, die Entscheidung zwischen Sieg und Niederlage, erstens von der Tagesform und zweitens von der Motivation unserer Spieler ab.
Ersteres kann man als Trainer nur schwer beeinflussen. Möglicherweise hat ein guter Trainer mal den richtigen Riecher und sieht einem Spieler am Vortag des Spiels an, dass er morgen etwas reißen wird, und stellt ihn deswegen auf. Aber darauf will man sich nun wirklich nicht verlassen müssen.
Zweiteres ist hingegen die große Stärke von Zidane. Während die Spieler unter Benitez am Ende größtenteils lustlos herumschlurften und Navas unsere Nummern Sieben bis Neun nur noch in der Halbzeitpause in seiner Nähe sah, war die Mannschaft in dieser Hinsicht ab Januar wie ausgewechselt. Besonders wenn ein Sieg unerlässlich ist (-> Stichwort Champions League KO-Runde) rennen die Herren Ronaldo und Konsorten endlich wie es sich gehört. Doch aus Gründen, die ich später noch auszuführen Versuchen werde, hält das eben nur, wenn es wirklich darauf ankommt. In einem "unbedeutenden" Ligaspiel, gerne auswärts, nimmt sich der Eine oder Andere wieder seine kleine Auszeit, und wenn sich zu viele Spieler ihre Päuschen leider in den selben Augenblick legen, dann kassiert man Gegentore.
Wenn sich eine Mannschaft so sehr von der eigenen Psyche abhängig macht ist es kein Wunder, dass wir gegen vermeintlich schwächere Gegner in scheinbar entspannten Spielsituationen, beispielsweise wenn wir in Führung gehen, nachlassen. Oder dass wir uns von einem Anschlusstreffer oft unverhältnismäßig stark aus der Bahn bringen lassen. Bisher hat am Ende meistens die individuelle Klasse wieder das Ruder herum gerissen und uns die drei Punkte gerettet, unter Zidane ging das nur gegen Betis und Malaga in die Hose, beide Spiele endeten 1:1.
Wenn man in solchen Situationen aber ein System hätte, eine klare Verteilung von Aufgaben auch in der Offensive, hätten die Spieler etwas, woran sie sich klammern können, auch wenn der Spielverlauf sie überrascht. Feste Strukturen, wie ein Pep Guardiola vom ersten Tag an implementiert, und ein System, dem sich seine Spieler unterwerfen müssen bzw. nach dem er sich diese überhaupt erst aussucht. Ich sage nicht, dass dies die einzige Lösung ist, um Spiele zu gewinnen, aber von dieser schneidet sich jedes erfolgreiche ballbesitzorientierte System eine große Scheibe ab.
Übrigens gehe ich davon aus dass es sowas bei uns nicht oder nur in Ansätzen gibt, denn sonst würde nicht solche Löcher im Aufbauspiel entstehen wie sie ja regelmäßig auf den Screenshots hier im Forum zu sehen sind.
Hätte ein Spieler die klare Aufgabe diesen Raum zu besetzen, dann würde er diesen Job extrem schlecht machen, und jeder Kreisligatrainer hätte ihn korrigiert oder ausgewechselt. Aber bei uns scheint dieses Problem kalkuliert zu sein, ein Opfer dass man bringt, im Wissen dass es ein Produkt der frei ausgelebten Kreativität unserer Vorderleute ist.
Um nun zum Kern der Sache zu kommen: der einzige Spieler, der von Haus aus mit solch einer Einstellung das Fußball spielen gelernt hat, ist Toni Kroos. Und alle in Spanien loben ihn wegen seiner Disziplin und seiner Perfektion, die er unzweifelhaft zur Meisterschaft gebracht hat. Aber er würde nicht so herausstechen, wenn er nicht in einer Umgebung spielte in der er der einzige ist, der "einfach seinen Job macht". Er ist der einzige, der seine offensiven Aufgaben gewissenhaft nach Plan ausführt, und nicht aus dem Bauch heraus.
Ein weiterer Spieler den ich hier nicht ungenannt lassen will ist Bale, der es von der Nationalmannschaft gewohnt ist, sich widerstandslos in ein System eingliedern zu müssen, damit ein relativ qualitätsarmes Team trotzdem das Halbfinale einer Europameisterschaft erreicht. In den ersten Jahren bei Real hat er seine neue Freiheit genossen und ausgereizt, aber seit Anfang seiner dritten Saison beginnt er, die Tugenden aus seiner Nationalmannschaft auch im weißen Trikot zu zeigen.
Der ganze Rest der Mannschaft schöpft, bei aller fußballerischen Klasse, das eigene Potential bei weitem nicht aus. Was eine offensive aus Kroos, Modric, James, Isco, Bale, Benzema und Ronaldo als Zielspieler für noch größeren Schaden anrichten könnte, wenn ihre Talente kalkuliert eingesetzt würden! Was für dominanten Ballbesitz- und Kombinationsfussball man spielen könnte, mit Spielern wie Modric, Bale oder Ronaldo die gelegentlich aus der Form ausbrechen und für die nötige Variabilität sorgen!
Aber das Problem liegt tiefer. Seid Mourinho, der kalkulierten Defensivfussball spielte, ist das Wort "Kalkulation" aus den Madrider Systemen langsam aber sicher verschwunden. Ancelotti, von dem Zidane ja die Einstellung übernommen hat, sah davon ab unseren offensiven Freigeistern ein System beizubringen, dass ihre Freiheiten einschränkte. Und Benitez, der mMn für das komplette Gegenteil steht, schaffte es nicht, ihnen genau das schmackhaft zu machen. Und Zidane selbst? Der versucht es gar nicht erst. Er baut auf die oben erklärten Mittel und hofft, dass sich Kreativität, Spontaneität und das "Gefühl" seiner Spieler am Ende vielleicht nicht um jeden Preis im Spiel, aber wenigstens im Ergebnis wiederspiegeln.
Tut mir leid wenn es etwas lang geworden ist, aber diese Überlegungen trage ich schon lange mit mir rum, die mussten mal raus
