So, nachdem sich die ganze Sache etwas beruhigt hat (Betonung auf etwas, das wird noch einige Nachspiele haben), nochmal ein paar freie Gedanken meinerseits dazu:
- die Idee einer Gruppierung, die sich gegen das (gesetzlich nicht gegebene) Monopol der UEFA und FIFA stellt, fände ich an sich eigentlich gut. Nur müsste man das Ganze halt viel breiter abstützen und den kleineren Vereinen und den Fans aufzeigen, wie sie davon profitieren können. Die CL Reform ist auch nicht unumstritten und viele Fans haben genug von noch mehr Kommerz, Globalisierung usw., mit einer klug aufgestellten Gegenbewegung und Alternative wäre man wahrscheinlich auf offenere Ohren gestossen. Nur erreicht man diese Mehrheit halt nicht, wenn man sich zur Möchtegern Elite ernennt und abtrünnig wird, nur um ihren eigenen Profit zu steigern. Damit hat man nun das Gegenteil erreicht und die UEFA und FIFA gehen gestärkt als Sieger (der Herzen) aus der Sache hervor, autsch.
- PR technisch war das ganze ein reines Desaster, und in der Hinsicht bin ich auch überrascht und gleichzeitig enttäuscht von Perez. Er ist seit 20 Jahren (mit Unterbruch) als Präsident in diesem Buissness tätig und davor schon in Politik und Wirtschaft, er sollte wissen, wie man Produkte gut verkauft und wie man Situationen liest und sich entsprechend positioniert, in den letzten 3 Tagen war davon aber überhaupt nichts zu sehen. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Statements und die Art und Weise, wie man es angekündigt hat, waren absolut dumm. Man hätte die UEFA ihre CL Reform ankündigen können, die sich er auch Gegenwind bekommen hätte, und dann antreten können mit "Hey, hört mal her, wir sind auch unzufrieden, aber wir arbeiten an einer Alternative, so könnt ihr davon profitieren... ". Stattdessen veröffentlicht man um halb1 in der Nacht auf Montag ein Statement a la "Buhu wird sind so arm, weil wir nur 600 statt 900 Mio Einnahmen gemacht hat haben, deshalb müssen wir eine halbgeschlossene Eliten Liga gründen, um noch mehr Mbappes und Neymars finanzieren zu können". Dass, nachdem man der CL Reform scheinheilig zugestimmt hat und in einer Zeit, wo weltweit tausende von Klubs ums überleben kämpfen, Millionen von Leuten sich einschränken müssen usw., wie das angekommen ist, hat man ja gesehen. Die Interviews danach waren auch keinen Deut besser und gestrickt mit widersprüchlichen Aussagen, die nur noch mehr Öl ins Feuer gegossen haben. Manche nennen es Standhaftigkeit, ich nenne es Grössenwahn und Realitätsverlust. Vor allem gestern scheint Perez regelmässig zwischen seiner Rolle als Real Präsident und SL Präsident hin und her geschlüpft zu sein und hat sehr widersprüchliche Aussagen gemacht, so verspielt man jeglichen Kredit. Dass er dann noch über Valladolid lacht oder sich über die Socios stellen will, ist nur noch Frech. Der Mann hat viel erreicht und kann nicht zu Unrecht gewisse Dinge beanspruchen, aber alles hat Grenzen, und im dem Falle hat sich Perez schlichtweg wie in blutiger Amateur angestellt und verliert zunehmend den Bezug zur Realität, in mehreren Sinnen.
- Dass die heutige Jugend eine geringere Aufmerksamkeitsspanne hat, ist einer dieser absurden Mythen der "heutigen Jugend", die jeder Generation seit Jahrtausenden vorgehalten wird. Dass ist jene Jugend, die 800 Seitige Harry Potter Bücher gelesen hat, 4 stündige Marvel Superhelden Filme schaut und unendlich viel Zeit in Onlineprojekte investiert. Ich glaube das Problem liegt woanders. Frag einen x beliebigen Fan, wie er seine Leidenschaft für Fussball entdeckt/entwickelt hat. Die meisten werden irgendwas mit "liegt in der Familie, ich war mal im Stadion, ich mag Spieler/Verein xy" antworten. Bei mir war es eine Mischung aus Familientradition und der Faszination für den Spieler Zidane und den Verein, für den er spielte, und der irgendwie anders war als andere Vereine. Viele in meinem Bekanntenkreis sind während der EM 2008 Fans geworden, 10 Tausende Holländer, die die Stadt Bern Orangen färben, vergisst man nicht so schnell. Champions League Abende haben bei uns eine lange Tradition, könnte da x legendäre Geschichten erzählen. Und wer hat nun in den letzten Jahren mehr und mehr die Ticketpreise erhöht, Spiele hinter exklusive Streamingdienste vergraben, die Vorbereitung nach Saudi Arabien verlegt usw.? Vielleicht auch mal an der eigenen Nase nehmen. Man wird die Jungen sicher nicht zurückholen, indem man eine halbgeschlossene Exklusiv-Liga hinter noch mehr Barrieren erstellt, die jeglichen kleinen Klub und Otto Normalbürger ausschliesst.
- ich habs an anderer Stelle schon erwähnt, ich finde es bedenklich bis frech und grössenwahnsinning, wie teilweise über kleinere Vereine und ihre Fans gesprochen wird, von Perez selber, aber auch hier im Forum. Man kann enttäuscht sein darüber, dass die SL nicht in geplanter Form zustande gekommen ist und dass vielleicht einiges falsch verstanden wurde, die mediale Hetze heisse ich auch nicht gut, aber ich würde verdammt aufpassen damit, jetzt sämtliche Fans zu verteufeln, zu beleidigen und irgendwelche "wir sind die guten Märtyrer" Narrative zu erstellen. Die "Bartrinker", "Heuchler" und "unbedeutenden am unteren Ende der Nahrungskette" sind letztendlich auch die, die konsumieren und damit dem ganzen Laden mitfinanzieren sollen, das wird nicht klappen, wenn man sie verteufelt und als rückständig, dumm oder was auch immer verunglimpft. Eine Mehrheit will keine SL in der Form, dann muss man das halt akzeptieren und Verbesserungen vornehmen, und nicht wie ein trotziges Kleinkind mit dem Kopf durch die Wand wollen. Der Fussball lebt am Ende halt doch auch von David gegen Goliath Geschichten und Kleinvieh macht auch Mist. Wenn eine SL funktionieren soll, dann sicher nicht, indem wir 99% der Fussballwelt (und der Kundschaft) gegen uns aufbringen. Am Ende des Tages hat sich ein korrupter reicher Mann mit anderen korrupten reichen Männern zusammengetan, um Macht und Reichtum von den korrupten reichen Verbänden in die eigenen Taschen umzuleiten, und ist wegen schlechter Planung und Umsetzung böse auf die Schnauze gefallen, passiert den besten. Moralische Überlegenheit oder Retter des Fussballs muss in der ganzen Geschichte echt niemand für sich beanspruchen. Und was für eine Macht Fans haben können, hat jetzt hoffentlich jeder kapiert.
- und zum Schluss bin ich etwas überrascht darüber, dass die CL jetzt plötzlich so völlig veraltet und wertlos sein soll. Genau jener Wettbewerb, der uns seit Jahren auszeichnet, und schon oft verkorkste Saisons (auch dank Perez ) irgendwie noch gerettet hat, der Wettbewerb, der uns zum besten Verein des 20 Jahrhunderts und zu einem der besten des 21 Jahrhunderts gemacht hat, jeder Wettbewerb, der zig Einnahmen generiert und legendäre Geschichten geschrieben hat, der Wettbewerb, dessen Rekordsieger wir sind und auch diese Saison wieder gewonnen werden soll. Auf einmal alles veraltet, wertlos und langweilig, weil es Onkel Perez so gesagt hat? Weil 10 mal Real gegen Arsenal im Jahr angeblich spannender ist? Glaubt das hier wirklich irgendjemand? Ich sage nicht, dass die CL in ihrer aktuellen Form perfekt oder immer spannend ist, die von der UEFA beschlossene Reform schon gar nicht. Aber 70 Jahre Geschichte und ein Prestigeträchtiger Wettbewerb sind auf einmal nichts mehr wert, weil das ein einziger Mann so entschieden hat, um seinen reichen Exklusivklub zu bewerben? Ohne mich.
tl;dr
- das Konzept einer Alternative hat durchaus Potenzial und ist nicht grundsätzlich falsch
- Planung, PR technische Umsetzung und Umgang mit Kritik an der SL gibt Note 6
- Junge sind nicht (nur) das Problem und müssen anders abgeholt werden
- Fans dürfen ihre Meinung haben, nicht jeder, der sich gegen die SL ausspricht, ist automatisch pro UEFA/FIFA, ohne Mehrheit der Fans und Klubs keine SL
- CL ist und bleibt CL