Ich zähle mich zu den eher kritischen Stimmen im Forum oft mit unpopulären Meinungen. Manche davon bewahrheiten sich mit der Zeit und werden hier zum Konsens, andere verlaufen sich zu Recht. Aber was ich aktuell an Reaktionen lese, empfinde ich für mich persönlich überzogen.
Wenn man diskutiert, ob Rodrygo langfristig die Klasse für die Startelf hat oder sich mit einer Rotationsrolle zufriedengeben würde, völlig legitim. Diese Diskussion führen wir nicht erst seit gestern. Aber dass nun auch Stimmen laut werden, die Tchoua, Valverde und sogar Vini verkaufen wollen, halte ich für extrem überzogen. Diese Spieler haben sich, trotz systemischer Mängel in der Vergangenheit, regelmäßig gegen Topteams durchgesetzt. Das spricht für ihre individuelle Klasse. Natürlich darf man sie trotzdem kritisieren, sogar scharf, wenn es angebracht ist. Wer schlecht spielt, soll von mir aus ausgepfiffen werden dürfen, wenn der Soieler das Gefühl vermittelt, es mangele sn der richtigen Einstellung. Und das Gleiche gilt für den Trainer. Auch Alonso steht zur Diskussion, wenn seine Entscheidungen fragwürdig sind. Kritik ist Teil des Spiels, aber Kritik ist nicht dasselbe wie ein Schlussstrich. Gerade zu Beginn einer neuen Ära sollte man unterscheiden. Spieler haben neue Rollen, die Automatismen fehlen noch, Abstimmungen existieren schlichtweg nicht. Das ist normal. Genau deshalb habe auch ich Alonso kritisiert, nicht, weil ich seine Idee grundsätzlich verwerfe, sondern weil ich denke, dass er den Einstieg falsch gewählt hat. Es war zu früh, um so ein kraftintensives, komplexes Pressing zu fordern. In der aktuellen Phase wäre ein klar strukturiertes Grundsystem mit Fokus auf Ordnung, Raumaufteilung und Sicherheit im Ballbesitz sinnvoller gewesen. Denn wenn die Beine müde werden und die Automatismen noch fehlen, greift das “muscle memory” und das führt die Spieler zurück in alte, ungewollte Muster. Und genau das haben wir alle gestern beobachten können. Dass die zweite Halbzeit anders aussah, hat viele Gründe. Einer war aber ganz sicher auch, dass unser Gegner noch schneller müde wurde und nur noch zu bunkern wusste. Ihm fehlte schlussendlich auch die Qualität auf der Bank, um neue Impulse setzen zu können.
Das Spiel gestern hat aus einem weiteren Grund das Bild verzerrt. Wir standen phasenweise mit anderthalb Mann weniger auf dem Platz. Vini war nahezu nicht vorhanden und trotzdem ließ Alonso ihn am längsten drauf. Warum? Warum nicht auf Rodrygo links setzen und rechts jemand Frischeres bringen? Vielleicht wäre das System dann besser zur Geltung gekommen. Vini hat am wenigsten mit ihm trainiert und das System scheinbar auch nicht verinnerlicht. Also wozu es innerhalb eines Spiels erzwingen?
Und ja Valverde war nicht gut, aber er hatte auch viele Lichtblicke, besonders in der ersten Hälfte, etwa wenn er ins Zentrum kam, den Zehnerraum besetzte und dort unter Druck gute Pässe spielte. Er besetzte gut den Flügel und bat viele Läufe in die Tiefe an. Nur wirkten unsere Flügel wie Fremdkörper und Rodrygo wusste viele dieser Gelegenheiten absolut nicht zu nutzen. Aber auch sein Spiel litt massiv unter der mangelnden Struktur.
Kritik ist also notwendig, gerade in einer Zeit des Umbruchs. Dafür ist der Austausch hier auch da. Aber Kritik sollte nicht sofort in Endgültigkeit umschlagen. Die Situation ist noch zu instabil, zu roh. Wer jetzt radikale Schnitte fordert, läuft Gefahr, langfristige Entwicklungen zu zerstören, bevor sie überhaupt greifen können.
…und ich bin gerade nicht der Meinung, dass allein ein neuer spielstarker Sechser unsere Probleme löst. Denn selbst dann spielen unsere Flügel weiterhin chaotisch. Es müssen Lösungen her, um die Brasilianer wieder stärker zu integrieren und mehr aus ihnen herauszuholen. Es kann nicht sein, dass der vermeintlich beste Fußballer der Welt, einer, der im 1 vs 1 kaum zu stoppen ist, der technisch überragend ist und jede Defensive vor Probleme stellen sollte, die einfachsten Basics nicht auf den Platz bringt und damit das gesamte Mannschaftsspiel lähmt. Kreativität muss nämlich auch über die Flügel kommen. Und ein spielstarker Sechser allein wird nicht kompensieren können, dass wir außen mit Akteuren spielen, die derzeit wie totes Material wirken. Wenn von dort keinerlei Impulse kommen, kannst du noch so viel Kontrolle im Zentrum haben es wird nicht reichen.