Raul

Irgendwann muss ich auf jeden Fall ein paar Zeilen loswerden.
Für mich der letzte Spieler, der das alte Real Madrid verkörpert hat, die letzte Nummer 7.
Das scheint doch jetzt ein passender Zeitpunkt, direkt nach seinem Karriereende und kurz vor einem Clasico. Ich liebe es, wie poetisch der Fußball sein kann. Dass Raul mit einem "we are the Champions" verabschiedet wurde, hätten die Fußballgötter nicht besser einfädeln können.
Eine Hommage an Raul ist doch schwieriger als erwartet. Wie geht man das an, was lässt man aus und was nimmt man rein? Ich habe mich dann entschieden, seine Zeit in Madrid Revue passieren zu lassen und es wurde klar, sich an Raul zu erinnern war sich an Real zu erinnern.
Das Altern der "La Quinta del Buitre" wurde mit Nostalgie entgegengenommen. Sanchis, Michel, Martin Vazquez und Butragueno gaben Spanien viel Freude. Aber so viel Licht und Inspiration hatte auch seine Nachteile. Die Zeit begann schneller zu laufen und bevor Emilio seinen Europapokal gewinnen konnte, hatte Sacchi bereits sein Milan kreiert und Cruyff sein Barcelona. So viel Fortschritt. Der Fußball ging Wege, die Madrid nicht verstand: Ferguson, Wenger, Capello, Hitzfeld, van Gaal - immer wieder Neuerungen. Die Geschichte schrieb sich neu, aber Real Madrid fand nicht die Worte. Bis der Autor seines Prologs erschien: Jorge Valdano war wieder im Santiago Bernabeu.
Die Saison 94/95 begann nach einem Sommer, als er Cantona, Sosa und Juanele wollte und keinen davon bekam. Doch sie sollte die sein, in der viele kleine Geschichten gut gehen wurden. Redondo, Laudrup, Amavisca und Zamorano waren zusammen mit Hierro und Sanchis die Basis einer Mannschaft, die ihre Ziele verwirklichen konnte: man gewann die Meisterschaft und spielte einen schönen Fußball und konnte sich sogar bei Romario und sein Barcelona für die vorherige Klatsche revanchieren. Diese Souveränität ermöglichte dem argentinischen Trainer etwas ungewöhnliches: man konnte Raul wie die Perle der Jugend behandeln. In einem schwierigeren Umfeld hätte man keine Wahl gehabt, als den Jungen immer reinzuwerfen und von ihm Punkte zu erwarten. Raul Gonzalez Blanco, Spieler von Real Madrid C, 17 Jahre alt, war schon der "besondere" von Real Madrid.
In seinem Debüt kreierte er
sechs Torchancen, die die Niederlage nicht verhindern konnten. Eine Woche später, spielte er in seinem erstem Derby, wo er eine Vorlage gab, einen Elfmeter rausholte, ein Traumtor erzielte und drei Punkte einheimste. Aber ich möchte jetzt nicht seine unzählige Heldentaten aufzählen, sondern an seinen Fußball erinnern, den er dafür angewandt hat, diese zu häufen.
Raul war ein Auserwählter, konzipiert um Fußball zu spielen. Ein Geschenk der Natur, das viele nicht deuten konnten. Es gibt etwas, das man zunächst einmal verstehen muss: Raul war verdammt schnell. Klar, sein Sprint war im Vergleich zu seinen Kollegen relativ langsam, aber bei allen anderen Aktionen, beim Joggen, beim Gehen, war seine Durchschnittsgeschwindigkeit immer über der aller anderen. Außer beim Sprintduell, hatte er die Nase immer vorn. Sein Geheimnis bestand darin, wie er sich über das Feld bewegte. Raul ging auf seinen Zehen mit der Beinkraft eines Kängurus und der Leichtigkeit einer Feder, es schien als käme er aus der Luft, immer vor seinen Gegenspielern am Geschehen. Das war einer seiner 6 Hauptwaffen in seiner Laufbahn. Zwei andere konnte er auch von Tag 1 auf zeigen, seine Kondition eines Leichtathleten und ein äußerst ausgeprägter Torriecher. Und nur 12 Monate später konnte man schon 2 der noch fehlenden 3 bestaunen.
Valdanos Madrid war ein Team mit kleinem Potenzial. Genug um eine geschwächte Liga zu gewinnen, aber nicht mehr. Europa sollte das in der Saison 95/96 grausam zur Schau stellen. Die Raute, die sich eher zu einem 4-1-5 mit Redondo alleine im Mittelfeld wandelte, konnte nicht mit den Großen des Kontinents mithalten und zudem war man auch noch physisch unterlegen, wodurch man gar keine Chance hatte. Auch nicht wenn Alkorta in die Elf wich und Hierro ins Mittelfeld vorrückte, änderte sich etwas. Die ungleichen Duelle mit Ajax nahm der Mannschaft das Selbstvertrauen und beschleunigten den Zerfall des Projekts. Die Folge: ein Anwärter auf das schwächste Madrid der letzten Jahrzehnte. Bloß Raul, 18 Jahre alt, hielt dagegen.
Raul nutzte die Krise um an Meter und Einfluß über das Spiel zu gewinnen. Praktisch nahm er die Rolle Laudrups ein, sowohl taktisch als auch in der Hierarchie. So entdeckten wir seine unglaubliche Gabe im Zusammenspiel, ohne die es seine Figur nicht gibt. Sein Passspiel war praktisch perfekt, immer wenn er den Ball hergab, hatte sein Kollege einen größeren Vorteil. Welche Art Pass war dabei egal. Aufbau, Abpraller, Verlagerungen, tödliche Pässe, Doppelpässe… Und da gibt es richtige Vorführungen in dem Sinne, wie zum Beispiel gegen Betis am 04.02.96, ein Spiel zum Verrückt werden, eine Darstellung von juveniler Genialität. Für wie viel würde so ein Spieler heutzutage gehandelt werden?
Doch nichts brachte so viel Aufmerksamkeit wie seine Führungsqualitäten. Raul konnte Unterlegenheit nicht akzeptieren. Deswegen stand er über dem System und bot seinem Team jede mögliche Lösung an, die ihm durch dem Kopf ging. Sein Clasico war episch, mit starren Veteranen und die Nummer "17", die die Teile zusammenpflückte.
Und traf. Nicht weniger magisch war das Viertelfinale gegen Juventus, späterer Sieger. Dieser Abend, der in die Geschichtsbücher ging, mit einem
beeindruckenden Bild, von seinem Zusammenstoß mit Pietro Vierchowod, der doppelt so alt war wie er(36 Jahre). Madrid gewann 1-0, natürlich, mit seinem Tor. Erinnerungswürdig auch seine Hingabe, im Spiel gegen Rayo als Valdano, nach einer Ergebniskrise, um seinen Posten spielte. Selten lief er mehr über ein Fußballfeld, aber er konnte seinen Freund nicht retten. Die Beziehung zwischen beiden brachte die Medien dazu, Rauls Hingabe mit einem zukünftigen Trainer zu hinterfragen. Er beantwortete dies mit 3 Weltklasse Partien gegen Athletic (5-0), Oviedo (2-1) und das erwähnte gegen Betis (4-2). Er traf in allen drei. Danach, das schon, kamen Barcelona und Valencia und bremsten die Euphorie. Man beendete die Saison auf Platz 6. Raul, mit 18 Jahren, 19 Toren in der Liga und 6 in seinen ersten 8 Championsleague Spiele, war ein Idol. Und ohne Gedanken nach hinten zu schauen.
Der Sommer 96 sollte viele Änderungen mit sich bringen. Nach dem neuen TV-Vertrag war die "Liga der Stars" geboren und nichts sollte so sein wie zuvor. Die spanischen Teams waren wieder in der obersten Riege. Madrid verpflichtete Illgner, Secretario, Roberto Carlos, Seedorf, Suker und Mijatovic, was extrem viel Hoffnung bei den Fans freisetzte. Doch die wirklich große Verpflichtung sollte die Bank nie verlassen, es war Fabio Capello. Und das war bedeutend. Capello ermöglichte 9 einzigartige - und unentbehrliche - Monate im Werdegang Rauls.
Real Madrid gab der "7" eine Vorgeschichte, das kein anderes Team ihm hätte geben können, aber ließ zu wünschen übrig in einem wichtigen Aspekt: des Trainers. In seinem Madrid wurden die Trainer wie ein nötiges Übel angesehen anstatt wie ein Werkzeug, das den Unterschied machen kann. Nur der beste, den man hatte, Don Fabio, hatte die Größe und das Talent um eine stabile Methodik zu implementieren und ein System zu entwickeln, das an das Morgen dachte. Also, um ein Projekt zu entwickeln.
Capello ließ ein asymmetrisches 4-4-2 spielen, ähnlich wie bei seinem Milan. Es war ein solides Madrid, das ein Pressing ala Sacchi nutzte, wie es sonst keine Mannschaft in Spanien tat. Egal wer den Ball hatte, er war immer weit entfernt von Illgner. Raul, im linken Flügel eingesetzt, lernte zu verteidigen. Er verstand die Geheimnisse der Positionierung, die Pros und Kontras des Aushelfens und die Bedeutung der Balance. Er nutzte seine Kondition, um defensiv den Unterschied auszumachen, trotz seiner Natur als Angreifer. Madrid sollte CL Titel dank dessen gewinnen.
Was den Angriff angeht, was ist besser als mit einem tollen Zitat von Capello zu beginnen. "Ich bin überzeugt, dass es zur Zeit vier Fußballer gibt, die den Unterschied ausmachen: Ronaldo, Del Piero, Kluivert und Raul". Einfach gesagt, Raul hatte es geschafft. Roberto Carlos beackerte ganz alleine den Flügel, was Fabio dazu nutzte, Raul völlige Freiheit zu geben. Der Spanier schmiedete Partnerschaften überall auf dem Feld. Im Aufbau verbündete er sich mit der Doppelsechs bestehend aus Redondo und Seedorf und weiter vorne hatte er eine graziöse Beziehung zu Suker und Mijatovic. Zu der Zeit war die Stärke des Duos aus dem Balkan ihre Beweglichkeit und technische Finesse. Die kreierten Räume und Assists für das junge Talent.
Wenn man sagen müsste, wann er zum Weltstar wurde, dann sicherlich an diesem 18. Januar 1997 im Vicente Calderon. Nach einer ausgeglichenen ersten halben Stunde fand Atletico das Tor, was sie dazu brachte ihren besten Fußball zu zeigen. Doch das zweite Tor kam nicht, weil Madrid dagegen halten konnte und es ging in die Halbzeitpause. Gleich darauf gewann Raul einen Ball am 16er und machte den Ausgleichstreffer. Luft. Es schien als wäre das schlimmste hinter einem. Doch kurz nach der 60. erhielt Mijatovic die Rote für Schiedsrichter Beleidigung. Der Ansturm der rojiblancos schien bevorzustehen.
Doch stattdessen ist ein Stern geboren. Nach dieser roten Karte war Raul ein
fußballerisches Erdbeben. Er war unaufhaltsam, überall zu finden, gewann Bälle zurück und traf schnelle Entscheidungen, führte sie sofort aus, hatte die Genauigkeit, was eine Vorführung! Das Calderon resignierte, man erstarrte, wenn er sie anschaute und in der 80. Minute, mit einem Mann mehr und ein Unentschieden zuhause machte Atletico ein defensiven Wechsel. Nur wenige Pfiffe. Vielleicht nur einer. Möglicherweise Raul selbst. Daraufhin machte er eines seiner berühmteren Tore. Kurze Zeit später legte er bei einem klasse Doppelpass das 3-1 von Seedorf auf. Und kaum war der Jubel vorbei, so hatte er mit seinem Außenrist das schlussendliche 4-1 eingenetzt.
12 Tage später sollte Raul Ronaldo im Camp Nou besuchen. Sie waren auf jedem Titelblatt, es war *das* Duell.
Die Erwartungen waren so groß, dass man sich sogar technische Innovationen überlegte, um den Gerecht zu werden. Zum ersten Mal hat man im spanischen Fußball den geteilten Bildschirm genutzt. Wenn Ronaldo den Ball hatte, zeigte man wie Raul das Verfolgte und andersrum genauso. Eine mediatische Show, die für uns heutzutage nichts besonderes ist, aber damals war das eine große Sache. Und es war klar, an welcher Bedeutung der junge Spanier am gewinnen war. Gut, er war nicht so stark wie R9, aber darum ging's nicht. Es ging darum, dass egal wer Real Madrid gegenüber stand, so hatte der Madridismo Raul und mit ihm konnte man immer, immer, gewinnen. Von 1997 bis 2003 war das der Fall.
Madrid gewann die Liga und verabschiedete sich von Capello, der nach Milan flüchtete. In Italien gab der Trainer zu, dass es unmöglich sei im Bernabeu zu arbeiten, denn wenn es nicht mal beim Gewinnen Ruhe gibt, wie solle das bei einer negativeren Dynamik dann sein. Heynckes war sein Nachfolger, dessen erste Neuerung die Raute im Mittelfeld war, mit Redondo auf der 6, Seedorf im LZM, Karembeu(oder Victor) im RZM und Raul auf der 10. Es gab wenig Kontinuität, man wechselte oft das System, aber das war das häufigste. Das Beenden der Eingrenzung der 7 sollte der drastische Verfall Sukers dienen.
Auf individueller Ebene war die Saison 97/98 traumatisch für Raul. Genau dann, wo er den Schritt vom Talentstatus zum Weltstar gemacht hatte, ist ihm das schlimmste mögliche passiert. In der Vorbereitung verletzte er sich so, das seine physische Leistungen beeinträchtigt wurden. Mitten im Februar haben die Ärzte zu 40 Tagen Pause geraten. In diesen Tagen wurde er "in flagranti" erwischt, wie er aus einer Disko kam. Das Problem? Raul war für viele der Anständige, der für gute Werte stand und als er diese Rolle verrat, war das Madridismo verärgert.
Der Grundstein für die schlechte Athmosphäre war, natürlich,sportlicher Natur. Madrid spielte eine schwache Saison, in der man nur vierter werden konnte. Und jedem blieb eine schwache Saison von Raul in Erinnerung. Doch sieht man sich die Spiele im Nachhinein nochmal an, sieht man dass man dies überdenken kann. Trotz seiner physischen Probleme hatte er Weltklasse Partien. Die wenigen Tore waren nicht Folge eines schwachen individuellen Niveaus, sondern des Systems. Die zwei Stürmer(bestehend aus Mijatovic, Morientes oder Suker) versperrten Raul den Weg ins Tor, weil sie sich nicht bewegten. Wenn Bewegung im Spiel war, dann
war die 7 zur Stelle, aber das kam selten vor. Um Räume zu finden, musste er nach außen rücken und sich dabei vom Tor entfernen. Dafür und als Beweis, dass er immer Leistung brachte egal wie, hatte er die höchste Anzahl an Assists in seiner Karriere, mit 12 in der Meisterschaft.