Schönes Interview von Kroos, bestätigt mein Gefühl, dass er sehr rational, sehr nüchtern, für viele Fußballfans ZU nüchtern ist:
http://www.zeit.de/2015/48/toni-kroos-real-madrid-interview
Jaja der Toni. Dieses Interview zeigt wieder einmal wunderbar auf, warum ich ihn so liebe, aber gleichzeitig auch einer seiner größten Kritiker bin (was in diesem Forum zugegebenermaßen noch nicht ersichtlich werden konnte, da in der Regel ungerechtfertigte Kritik an seiner Person geübt wird/wurde).
Er ist in meinen Augen der begabteste Fußballer Deutschlands und mit Fähigkeiten gesegnet, die in der Neuzeit bei keinem Fußballer im zentralen Mittelfeld im dem Maße ausgeprägt sind (Schweinsteiger ist ein Witz gegen ihn). Aber genau hierin liegt in meinen Augen das Problem. Oftmals lebt er von seinen Fähigkeiten und ruht sich darauf aus. Wenn ich seinen Nebenmann Modric vergleiche, so fällt sofort auf, dass Modric im Bereich Dribbling, Überraschungsmomente und Einsatzwillen Kroos komplett den Schneid abkauft. Was auch per se nicht schlimm wäre, ABER toni bringt Dinge mit, die selbst der geteilt beste zentrale Mittelfeldspieler Modric mit Busquets nicht besitzen (ich lasse Pirlo mal außen vor, weil es eine andere Generation ist; und mir sind die Unterschiede zwischen Modric und Busquets mehr als bewusst, ich fasse das zentrale Mittelfeld mal grob). Kroos ist in Sachen Präzision, Spielverlagerung, Spielkontrolle und vor allem Spielverständnis eigentlich einmalig in der heutigen Zeit. Aber er macht aus diesen Dingen leider nicht das, was möglich wäre. Er lebt von diesen, vielleicht gegebenen, vielleicht erarbeiteten, Fähigkeiten. Er konzentriert sich stets auf seine Stärke und vernachlässigt seine Schwächen. Ob es nun, wie vom Interviewpartner suggeriert, eine prinzipielle Schutzhaltung durch schon immer ungerechtfertigten Umgang von Fans und Medien oder tatsächlich sein Verständnis von Fußball als Beruf kommt, ist eigentlich irrelevant. Am Ende schadet er seinem Fußball. Jeder, der Spiele von Toni gesehen hat, die wirklich von einem anderen Planeten waren, weiß, was dieser Mann im Stande zu leisten wäre (ich erinnere da gerne an das Spiel von den Bayern gegen Arsenal, als wir la decima geholt haben, seht euch da mal seine Zusammenfassung an, ich poste sie gleich nochmal). Und wieder ein dickes ABER, er zieht meist die falschen Schlüsse aus der Kritik an seiner Person. Statt zu sagen, ja verdammte scheiße nochmal, ich habe alles erreicht, aber jetzt zeige ich der Welt einfach mal, was ein emotional geladener Toni Kroos auf den Platz bringen kann und was ich als Führungspersönlichkeit noch an zusätzlicher Verantwortung gewinne (und damit Bällen, die dann selbstverständlich nur über mich laufen), spielt er seinen Stiefel (der selbst im schlechtesten Spiel nie an Präzision verliert) runter. Und das ist mein größter Kritikpunkt. Statt emotionale Reaktionen und Verbesserungen seiner Schwächen zu zeigen, vertraut er auf seine Fähigkeiten, die ihn unter welchem Trainer auch immer in Zukunft immer zum unumstrittenen Stammspieler (beim Trainer) machen werden.
Nehmen wir da einfach mal die WM. Er war in meinen Augen, betrachtet man mal die Gesamtleistung und den Gesam-Impact auf alle Spiele, der beste Feldspieler der WM, auch wenn James etwas spektakulärer war. Aber die Leistung, die er vor allem aus seiner Position gezeigt hat, war einmalig bei der WM. Gegen Portugal im ersten Gruppenspiel war er der Initiator fast jeder deutschen Gelegenheit und hat parallel das gesamte deutsche Spiel strukturiert. Am Ende eine direkte Torvorlage, zig vertikale Bälle und Raumgewinne und dann die Flanke auf Müller, der dann durch seine Fähigkeiten im direkten Zweikampf sein Ding macht (den ich übrigens trotz seiner hölzernen Art gern bei Real sehen würde, weil er Überraschungsmomente erzeugt, die uns häufig fehlen). Im zweiten Gruppenspiel, das äußerst zäh war, hat er im Spielaufbau das Ding am Leben gehalten und durch seine Ecke auf Höwedes, der den Ball auf den langen Pfosten köpft und Klose vollendet, den Ausgleich beigesteuert. Im dritten Gruppenspiel hat er klassisch seinen Stiefel runtergespielt. Gegen Algerien hat er, anders als viele denken, in einem extrem außer Kontrolle geratenen Spiel, im Schlussakkord durch seine Pressingresistenz genau die Ruhe verliehen, die dem Spiel lange abging. Gegen Frankreich im Viertelfinale hat er eine seiner besten Leistungen abgeliefert und hat fast im Alleingang eine Spielkontrolle im Mittelfeld erzeugt, die seinesgleichen sucht. Auch wenn es durch die individuelle Klasse von Benzema auch anders ausgehen hätte können (danke Neuer), hat er zusätzlich das Foul im Halbfeld gezogen und den Freistoß zum entscheidenden 1:0 zur Vorlage für Hummels genutzt. Danach kam das legendäre 7:1, indem er erst das 1:0 per Ecke vorbereitet, das 2:0 genial auf Müller durchsteckt durch die Beine, das 3:0 selbst vollstreckt in einem Duselrausch und dann das 4:0 nicht mal sekundenspäter durch seine Balleroberungen gegen Fernadinho und durch genialen Rückpass von Khedria (unseren Zucchinifuß) vollstreckt. Danach ging er auf die Doppelsechs und hat das Spiel verwaltet. ABER und da ist es wieder, kam dann das Finale und er macht eine dumme Aktion früh im Spiel. Seinen Rückkopfball auf Higuain (ich hätte ihn in jedem Spiel das Tor gegönnt, außer in diesem). Und schon hatten die Medien und die Fans, den Kroos, den sie immer wollten. Dass er danach noch eine geniale Ecke auf Höwedes schlägt, der den Ball leider an den Pfosten köpft, und dass er Schürrle genau den Raum gibt, den er braucht, um die Außenlinie hochzusprinten und zugegebenermaßen eine geniale Flanke zu schlagen, wurde komplett vergessen. Und wodurch? Durch seine zaghaften Abschlussversuche und durch seine mangelnde Bereitschaft in einem solch wichtigen Spiel auch gegen sein Spielverständnis aggressiv die Zweikämpfe zu suchen. Er hat, wie in diesem Interview und vielen anderen, den Ernst nicht verstanden, welche Wirkung die Körpersprache auf die Wahrnehmung seiner Person hat. Ohne diesen Verlauf des Finales, mit einer anderen Körpersprache, einem Tor von Höwedes oder gar eines Tors durch seine beiden sehr guten Abschlusspositionen, hätte er sehr gut, Spieler der WM werden können. Und es wäre mehr als gerecht gewesen. ABER nein, der liebe Toni stand sich wie sooft selbst im Weg. Und erst, wenn er versteht, was er zu leisten instande wäre, sei es auch nur in der öffentlichen Wahrnehmung, wird er ein echter Champion werden, dessen Namen man nicht mehr vergisst.
(Übrigens waren das nicht die ersten Beispiele in seiner Karriere, wo er den Moment verpasst hat, Kämpfercharakter zu zeigen; Finale bayern gegen chelsea, bester Mann auf dem Platz, geniale Vorlage auf Müller zum 1:0, dann Verweigern des Elfmeters, weil er gegen uns einen verschossen hat, er war der Buhmann, trotz genialer Leistung; es existieren noch andere Beispiele)
Nichtsdestotrotz hoffe ich bei ihm irgendwann durch das Alter oder sei es sonstwas, auf eine Reaktion, die ihn nicht nur zum unumstrittenen Stammspieler werden lässt, sondern zu einer Führungspersönlichkeit und einer Legende im Fußball (und komm mir hier bitte keiner mit Casemiro; selbst ein unausgeschlafener Kroos ist für unser Spiel wertvoller als ein klassischer Abräumer, denn wir wollen nicht irgendwie gewinnen, sondern unserem Anspruch irgendwann mal wieder gerecht werden und das Spiel diktieren und da ist Kroos unsere geringste Baustelle; das sind gruppentaktische Prozesse, in denen Kroos unser geringstes Problem ist (hätten wir noch zwei, drei Spieler mehr mit seinen strategischen und in der Umsetzung taktischen Fähigkeiten, wäre unser Fußball lange nicht den direkten Rivalen Barca und Bayern so unterlegen, wir haben nämlich eigentlich ein besseres Spielermaterial, als das, was wir auf den Platz bringen).
Und da ich es ja versprochen hatte, hier nochmal der Link zum Arsenal-Spiel.