@4ramos: Sehr schöner Beitrag, den ich in vielen Punkten teile, auch im Fazit. Man muss auch sagen, dass uns / Zidane die Corona-Regeln sehr zu Gute kamen. Die zusätzlichen Kaderplätze und Wechseloptionen haben uns klar in die Karten gespielt, weil wir unseren breiten Kader voll ausschöpfen und ausnutzen konnten (die Streichkandidaten waren meist vorhersehbar). Somit konnte er seine große Stärke voll ausspielen und den Kern der Gruppe an Spielern, die ihm treu folgen, gut bei Laune halten. Aber wie sieht es im regulären Liga-Alltag aus? Wen will man da streichen? Asensio, Vazquez, Rodrygo, Vinicius, Bale, James, Isco, Brahim, Reinier, Hazard, Benzema, Mariano und Jovic. Hier müsste man sich mindestens von 3-4 Spielern trennen (Bale, James und Mariano verkaufen, Brahim und Reinier evtl. verleihen). Marinao war gestern - im Gegensatz zu James und Bale - bei der Jubelfeier zumindest ein guter Teamplayer, der zeigte, dass er trotz weniger Einsatzzeiten seine Rolle für das Team reibungsfrei zu erfüllen weiß.
Dann muss man weiterhin im Auge behalten, dass man genügend Tore schießt. 68 Tore nach 37 Spieltagen sind eigentlich ein schwacher Wert (Barcelona hat 13 mehr), der lediglich durch die starke Defensive mit nur 23 Gegentoren aufgewertet wird. Der gestrige Gegner erzielte bisher nur 9 Tore weniger. Liverpool hat ähnliche Zahlen, aber City ist viel torgefährlicher. Bayern, der BVB und Leipzig haben über 80 Tore. Juve, Inter, aber auch das bärenstarke Atalanta jeweils mit über 70 Toren. Paris hat in 10 Spielen weniger ebenfalls mehr Tore erzielt. Die knappen 1:0 und 2:1 Siege können dann gerne mal, ohne das nötige Spielglück, kippen. Gerade dann, wenn man nach 1:0-Führungen abschaltet oder nur 45 Minuten Vollgas gibt.
Außerdem muss sich Zidane überlegen, welche Spieler er fördert, wenn es wirklich zu 95 % beim derzeitigen Kader bleiben wird. Vor ein bis zwei Jahren hatte man schon Debatten um einen verschleppten Umbruch. Ich sehe einige der damaligen Probleme, nach den drei CL-Siegen, nach wie vor. Sie sind auch nicht weg, weil man jetzt Meister mit vielen dieser gleichen Spielern wurde. Diese Spieler leben vom enormen Vertrauen, das ihnen offensichtlich nur Zidane als Trainer geben kann (und will). Will er aber weiterhin dauerhaft und konsequent von Kroos, Modric, Casemiro, Benzema, Varane, Ramos, Carvajal abhängig sein? Der Hakimi-Verkauf spricht zumindest nicht dagegen. Oder kann er Spieler wie Jovic, Vinicius, Rodrygo oder Militao noch besser einbinden und weiterentwickeln? Die Einsatzzeiten Militaos bei Fitness von Ramos und Varane sprechen ebenfalls nicht dagegen. Welche Rollen werden Isco und Asensio haben? Was wird aus Nacho und Vazquez, d.h. bekommen sie den Vorzug vor Militao, Vinicius und Co.? Und, schafft man es sich von "Problemspielern" wie James und Bale zu trennen, zwischen denen und dem Trainer das Tischtuch offensichtlich zerrissen ist.
Auch stellt sich die Frage, wie er mit Spieler umgeht, die in kleine Formtiefs fallen. Ein Beispiel war zuletzt Vinicius, der zwischen Stammspieler und Kurzeinsätzen wechselte. Offensichtlich liefen ihm zuletzt Asensio und Rodrygo den Rang ab und ein fitter und formstarker Hazard wäre ohnehin gesetzt. Das wird ihm zusetzen, weil er vom Momentum und vom Selbstvertrauen lebt, obgleich er durchaus jemand ist, der auch als Einwechselspieler wertvoll sein kann (Typ Mariano).
Weiterhin ist fraglich, ob man künftig an der starken Defensive festhalten will und sich somit gewisser Offensivoptionen beraubt. Ein Dreiermittelfeld wäre hier noch das geringste Übel. Es könnte auf die Spitze getrieben werden, wenn man in wichtigen Spielen so startet wie gegen Granada (Casemiro, Valverde, Kroos, Modric und Isco auf den Flügeln). Spielerisch war das bisweilen zwar gut anzusehen, aber der finale Zug zum Tor sollte nicht völlig verloren gehen. Hier würde ich niemals auf den Impact von klaren Wingern verzichten wollen. Am Ende stirbt man in Schönheit oder implementiert ein System Simeone 2.0 mit besseren Individualisten.
Ich würde die Liga nicht zu hoch hängen und mich wieder zurücklehnen. Das Spiel gegen City wird ein Gradmesser, zumal die PL und andere Ligen in den letzten Jahren aufgeholt haben. Zu schwach waren Atletico und Barcelona in dieser Saison. Der Anspruch muss, nicht erst in der Post-Messi-Ära, sein, dauerhaft um 2-3 Titel pro Saison mitzuspielen. Die nationalen Wettbewerbe müssen wie bei den Bayern Priorität haben, wobei man auch in der CL eine konkurrenzfähige Mannschaft verfügbar haben muss. Auch ein Zidane, als herausragender Mentor und Motivator wird nicht dauerhaft bei jedem Spieler die Spannung hoch halten können. Sobald Rückschläge, Verletzungen o.ä. eintreffen, muss er beweisen, dass er mehr kann als den Kern der Truppe bei Laune zu halten. Sobald Benzema, Ramos, Casemiro oder Kroos ausfallen, muss er zeigen, dass auch Jovic, Militao, Valverde und Co. ihr Handwerk verstehen. Ein Selbstläufer wird das in der kommenden Saison nicht.