Kommentar

Kommentar: Canterano-Schwund, unehrliche Gründe und ein zu gnädiges Real

Nach Nacho Fernández wechselt auch Joselu in die Wüste. Nils Kern stört nicht nur das Wohin, sondern auch, dass Real Madrid so einiges mit sich machen lässt, zu gnädig ist. Über allem stehen trotzdem Spieler, die trotz Verlängerungsangeboten, offensichtlich eher höhere Einnahmen im Kopf haben, auch wenn das öffentlich natürlich ganz anders verpackt wird.

3.3k
Dass Real Madrid spät zwei wichtige Eigengewächse mehr oder weniger kampflos gehen lässt, schmeckt Nils Kern nicht – Foto: getty images

Also nee, Leute. Ich habe jetzt eine Nacht darüber geschlafen, und ich aufgrund des Textes nicht durchgehend geschlafen. Und ich muss das jetzt los werden. Und mal wieder den meckernden Moralapostel raus lassen. Als hätten mich die sich anbahnenden Wechsel von Nacho Fernández und Joselu nicht schon länger beschäftigt, und das als Canterano-Liebhaber tief im Herzen, so zweifle ich immer mehr an meinem eigenen Weltbild von den immer treuen Canteranos beim großen Klub Real Madrid.

Aber was kann Real Madrid mal wieder für zwei gehende Spieler, denen eigentlich Verlängerungsangebote unterbreitet wurden, wie bei Sergio Ramos, Karim Benzema, Marco Asensio, Toni Kroos und anderen auch? Wo kommen wir denn da hin, wenn jeder Spieler nach einer Saison mit zwei, drei Titeln sagt: „Boah, besser geht’s nicht, ich geh’ lieber.“ Das ist Real Madrid, der Traum muss sein, hier über Jahre hinweg dem Team zu helfen und erfolgreich zu sein, die Spitze zu halten. Ich würde Nacho und Joselu fast sogar vorwerfen, dass sie als Canterano eine besondere Verantwortung haben, denn sowas wie sie gibt es nicht wie Skandale in Barcelona. Keine launischen Eintagsfliegen wie James Rodríguez oder Eden Hazard, sondern verlässliche, ihre Rolle akzeptierende Typen, die sportlich wie moralisch einen großen Wert haben fürs Team, und die jedes andere Team gerne hätte.

Über Nachos Wechsel hatte ich meinen Unmut bereits geäußert: einerseits war ich traurig aufgrund des Abgangs an sich (auch wenn der teilweise nachvollziehbar ist), aber auch enttäuscht aufgrund seines Ziels beziehungsweise seiner Begründung. Als hätte er in Italien oder den USA oder sonst wo nicht ebenso nett kassiert (ohne mögliches Real-Aufeinandertreffen) und genauso nette Einsatzzeiten bekommen. Dass sowohl er „als auch meine Familie eine neue Erfahrung“ brauchen, nehme ich ihm nicht ab, zumindest nicht als Hauptargument für Saudi-Arabien. Aber gut: Er hat jahrelang alles gegeben, auf manches verzichtet, wäre meiner Meinung nach trotzdem noch als dritter oder vierter Innenverteidiger auf seine Einsätze gekommen (wer sagt, dass David Alaba wieder der von 2022 wird?). Egal. Nacho: Danke für alles, auch wenn bei mir ein dickes Geschmäckle bleibt, und sein Legendenstatus nun doch nicht ganz so hoch ist, wie ich dachte. Und hoffte…

Aber Joselu? Da träumt er jahrelang davon und arbeitet darauf hin, zu Real Madrid zurückzukehren. Erfüllt sich schlussendlich diesen Traum. Wiedervereinigt mit seinem Schwager. Geliebt von Fans und einem Klub, der ihn ein weiteres Jahr halten will. Nur um nach zehn Profi-Stationen in drei Ländern und nach nur einem Jährchen bei Real Madrid quasi mit 34 Jahren in die Fußballrente einzutreten? POR QUÉ?!

Vor Jahren bin ich gegangen, aber ich war nie weg. Heute gehe ich auch, aber in Wirklichkeit bleibe ich“, schreibt er in seinem Abschiedsbrief. Wie, du bleibst? Was bleibt? Eine sehr geile Saison, joa, nicht nur wegen des Bayern-Doppelpacks. Aber come on, das ist Real Madrid! Wer diesen Traum hat, der haut nicht nach einem Jahr schon ab, wenn der Klub ihn halten will – frag’ mal Chicharito oder Emmanuel Adebayor, was die für einen Verbleib getan hätten. In einer maximal 72 Pflichtspiele reichen Saison 2024/25 wäre Joselu auch mit Kylian Mbappé und Endrick auf seine 40 Einsätze und 15 Tore gekommen (in der abgelaufenen Saison waren es 49 beziehungsweise 17), mal davon abgesehen, dass es dieses Stürmerprofil des großen, kopfballstarken, lauernden Mittelstürmers auch weiter kein zweites Mal im Kader gegeben hätte. Er hätte locker noch seinen vierten und fünften Vereinspokal gewonnen, gefährdet stattdessen seinen Nationalspieler-Status – Gerard Moreno bedankt sich.

Will er, nachdem er bereits bei Stoke, Alavés, Espanyol und Co. neben zweitklassigen Mitspielern als Stammspieler gesetzt war, jetzt wirklich nach Katar, um dort gesetzt zu sein? Einer, der betonte, dass jede Minute im weißen Trikot ein Traum sei? Wie Nacho kann ich auch Joselu diesen Wechsel nicht abnehmen. Während Nacho vielleicht noch ein paar halbe Naja-okay-Gründe hatte, geht ein so oft umgezogener Spieler wie Joselu nicht aus Gründen wie, mit der Familie noch was erleben zu wollen, oder um gesetzt zu sein, nein, er geht nur aus finanziellen Gründen. Und das vom umsatzstärksten Verein der Welt, der nun wirklich nicht auf Kurzarbeit ERTE angewiesen ist wie andere spanische Top-Klubs. Geld ist wichtig, aber für das drei- oder vierfache des Real-Gehalts so viel aufgeben? Und dann nicht mal ehrlich genug sein, und etwas in die Geld-Richtung zu sagen, wie dass sich eine Gelegenheit bietet, für die Zukunft der Familie zu sorgen? Nicht vergessen: Im März verriet Joselu noch, er wolle „das Bestmögliche geben, um eine noch viel längere Zeit hier zu sein.

Ich verstehe das alles nicht mehr. Dass Real Madrid nicht mehr so einfach einen Kevin de Bruyne bekommt wie früher einen David Beckham, schon klar. Aber wenn selbst Kapitäne und Eigengewächse Jahr für Jahr dem Geld aus gewissen Staatsfonds erliegen, was soll man da an Real Madrid noch für echt halten, wenn nicht mal mehr die Canteranos? Natürlich bleiben mir und den Madridistas noch genügend andere Idole – Stars wie Canteranos – erhalten, aber dass nach Nacho jetzt auch Joselu geht, und das in ein ähnliches dubioses Land, das erschüttert ein bisschen mein Weltbild.

Jeder Mensch, natürlich auch jeder Fußballprofi, darf und sollte seine eigenen Entscheidungen treffen, seine Wünsche verfolgen. Nacho und Joselu haben meiner Meinung nach trotzdem ihren Ruf ganz schön angekratzt. Und Real Madrid macht es mit. Gut, bei Nacho war es klar, da gilt das Motto: Legenden dürfen sich aussuchen, wann und wie sie gehen. Faire Regel nach zwölf Jahren bei den Profis. Aber Joselu? Dass die Blancos die 1,5-Millionen-Option ziehen, um ihn für den gleichen Preis weiterzuverkaufen, mag ein netter Gefallen für einen Spieler sein, der summa summarum trotzdem „nur“ 51 Mal das weiße Trikot getragen hat, aber erstens zieht man so eine dubiose Nummer nicht mit einem eigentlich eher freundschaftlich gesinnten Klub wie Espanyol ab und zweitens macht man einem Klub aus einer Liga, die für so viele Probleme auf dem Transfermarkt wie beispielsweise urplötzlich wechselwillige Benzemas verantwortlich sind, nicht so ein Geschenk. Mir geht’s auch nicht um die fünf Millionen, die Real Madrid mehr hätte verdienen können, sondern einfach ums Prinzip.

Real muss größer sein, für mehr stehen, sich zur Wehr setzen. Stattdessen haben Florentino Pérez und Co. Benzema trotz Vertrags ziehen lassen (okay, die oben erwähnte Legenden-Regel), hat sich von satten Spielern wie Gareth Bale (okay, eher dessen Berater) und Mariano Díaz auf der Nase rum tanzen lassen, hat viele Canteranos verloren wie ganz frisch Nacho und Joselu … bisher ist all das gut gegangen, wie die letzten titelreichen Jahre zeigen. Aber je mehr sowohl Eigengewächse als auch erfahrene Spieler gehen, desto mehr verliert Real Madrid das Gleichgewicht der Dreieinigkeit: Weltstars, Routiniers, Canteranos. Real Madrids Erfolgsmischung.

Die Blancos müssen aufpassen, in einem immer gnadenloseren Fußballbusiness nicht zu gnädig zu sein, vermutlich auch früher für Klarheit sorgen bei Deals statt bis Mitte Juni abzuwarten. So wie ich aufpassen muss, dass ich mir nicht zu viele falsche Hoffnungen und Bilder von Idolen mache, denn mit meiner Kritik an den letzten beiden Wechseln gehöre ich eher zur woken Minderheit, wie sich nicht nur mit einem Blick in die Herzchen-triefende Kommentarliste der Spieler zeigt, sondern auch in spanische Medien. Hinterfragt oder zumindest mal kurz kritisch beäugt wird da wenig. Dankbarkeit gehört dazu, empfinde ich auch, aber diese Wechsel schmecken mir gar nicht, nicht nur das Wohin. Auch nicht nach einer teils schlaflosen Nacht.

0.00 avg. rating (0% score) - 0 votes
von
REAL TOTAL

Hier schreibt die Redaktion von REAL TOTAL, dem führenden Magazin über Real Madrid im deutschsprachigen Raum.

Kommentare
Ich verstehe den Unmut bzgl Nacho und Joselu um ehrlich zu sein nicht.

Aus Real Sicht, hätte man beide behalten aufgrund der Breite und mehr oder weniger aus Dankbarkeit deren Leistung wegen Verlängert und nicht weil man beide unbedingt braucht.
Nacho wird durch Yoro (hoffentlich) ersetzt und Joselu durch Endrick. Bin der Meinung es gibt schlimmeres.
Positiv ist auch das diese ohne Nacho und joselu Aufjedenfall mehr Minuten bekommen werden. Auch da sehe ich es eher Positiv wie z.B beim Casemiro Abgang das dadurch ein Tchouameni erheblich mehr Minuten bekommt.

Aus Spielersicht muss man sagen beide sind Mitte 30 haben nie extrem Hoch verdient wie diie ganz großen im Fußball und vorallem ein Nacho hat weder über seine Rolle gemeckert noch die Chance ergriffen zu einen Verein mit Garantie auf einen Stammplatz zu wechseln.
Ich kann somit bei beiden den Schritt also vollkommen Nachvollziehen, da beide nochmal Ordentlich abkassieren werden. Nachdem was beide für uns Geleistet haben vollkommen verdient. Anstatt zu Meckern bin ich dafür Danke zu sagen für das was geleistet wurde und ihnen viel Glück zu wünschen bei ihren neuen Vereinen.
 
Nennen wir das Kind beim Namen, es geht hier allein um Geldgier. Das kann man schon mal kritisieren.
Die Worte hier sind mir aber in Summe zu hart, die beiden haben weder eine Pflicht noch Schuld gegenüber Real Madrid. Und weil der Vergleich fiel: was ein Chicharito oder Ade bei so einem Angebot getan hätten, wissen wir auch nicht. Sportlich hätten sie kommende Saison kaum eine Rolle gespielt, so ehrlich muss man auch sein.
Ich wünsch den beiden alles Glück, bin ihnen auch nicht Böse. Enttäuscht bin ich aber auch, dass es des Geldes wegen ist.
 
Wechsel in die Wüste sind einfach nicht zu erklären.
- Bei Nacho kann man nur sagen, nach all den Trophäen sei es ihm gegönnt. Fader Beigeschmack, dass gerade der Captain wechselt.
- Bei Joselu ist’s übertrieben. Klar macht er’s fürs Geld. Wo war aber Real Madrid als er sie gebraucht hat? Da hat man lieber ‘n illoyaler Vollpfosten wie Morata behalten und ihn nicht mitgenommen. Er hat letzte Saison alles mit RM gewonnen und gut ist. Es braucht nicht immer ne Zugabe!
 
also Heuchler Deutschland schlägt mal wieder im vollen Gange zu...
Sorry ich liebe Real Total, bin eigentlich fast immer einer Meinung mit Niels Kern. Aber Ihr deutschen seit so Heuchlerisch wenn es mit dem Fingerzeigen auf andere geht.

ihr verlangt dass ein Staat von null auf Hundert alle "westlichen Werte" (die selbst von uns gebrochen werden ihne Maß und Ende) sofort übernommen werden muss oder man sie ausschließen sollte.

genauso macht man sich Feinde.
Saudi Arabien ist bei weitem noch weit entfernt von Europa, aber ohne den ganzen Innovation und Kooperation wäre das Land noch viel weiter hinterher.

Es braucht Jahrzehnte, aber der Weg ist positiv. Ändert von heute auf morgen alle Gesetze und Ethiken und es würde in diesen Ländern Bürgerkrieg geben.

Jetzt zu sagen jeder hat einen scheiß Charakter der dort hingeht oder mit ihnen Kooperiert ist einfach nur lächerlich. (schaut euch Eure Bundesregierung an mit den Deals mit Saudi Arabien)

ohne langsame Annäherung und Austausch der Westlichen Werte werden solche Länder niemals den Fortschritt miterleben. Was ihr verbieten wollt

seit Beginn dieser Seite bin ich dabei. Aber blöd heuchlerisch reden ohne Gerhin vertreibt mich.
Bin selbst Grün Wähler
halt mit Gerhin


"Bin selbst Grün Wähler halt mit Gerhin"
Sorry, aber da war ich echt raus!
 
"frag’ mal Chicharito oder Emmanuel Adebayor, was die für einen Verbleib getan hätten. "
Word- bei Joselu denke ich, hat es mentale Gründe. Er war dem Druck hier einfach nicht gewachsen, das hat zu viel von ihm verlangt. Und das ist völlig ok. Ich finde es gut, dass er sich wieder in seine Komfort-Zone begibt. Real ist einfach nicht für jeden Spieler etwas.
Und Chicha und Adebayor (was habe ich den Kerl gefeiert) sind über so etwas mit einer anderen Substanz mental einfach hinweggegangen. Leider für unseren guten Joselu so nicht drin. Diese Art Verkrampftheit hat man ihm angesehen, finde ich, sowohl im Training als auch in den Spielen. Er wirkte nie frei. Alles Gute, Amigo! Hala Madrid
 
Danke Nils!
Ein Schlag ins Gesicht für die letzten Fußballromantiker.
Einen Wechsel rein des Geldes wegen kann man machen, aber ist das letzte was ich mir von Nacho und Joselu erwartet hätte. Zwei Spieler die die Liebe zu Real Madrid wie kaum jemand anderer verkörpern.
Man merkt, dass du den Fußball liebst und du nicht davor zurückschreckst deine eigene Meinung zu äußern. Ich finde das gibt dieser Seite auch einen besonderen Charme. Auch wenn das heutzutage zu den absurden Vorwürfen führen kann ein Rassist und Heuchler zu sein. Leider gilt Meinungsfreiheit bei manchen Leuten nur für die eigene Meinung.
Wie dem auch sei, danke für eure Arbeit und danke für eure Meinungsäußerungen.
Danke Nils!
 
Ach sry, aber wie oft haben wir diese endlos Diskussionen schon geführt sobald uns Spieler verlassen haben. Ich mache mir um unseren Kader keine Sorgen, jahrelang wurde hier von Spiel zu Spiel über die Verjüngung des Kaders rum gejammert…wie die Rohrspatzen kann ich mich noch erinnern wurde gejault „man habe diese Verjüngung“ gegenüber Barca klar verschlafen etc…etc…
Jetzt, wo die letzten der alten Ära die Segel streichen, wird plötzlich einen Nacho und Joselu nach getrauert…????
Sry Jungs, bei aller Liebe da mach ich nicht mit!

Wir werden auch weiterhin konkurrieren können, bleibt schön locker und wartet erst mal ab!
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich versteh den Aufriss hier null. Sehe hier auch mal gar kein Problem! Verständlich dass Nacho nicht mehr IV Nr. 4 sein will oder sich sogar hinter Tchou anstellen muss. Dann doch beim Höhepunkt gehen. Besser wirds für ihn hier nicht mehr als als Kapitän LaLiga und CL zu gewinnen.
Und bei Joselu ist es doch sogar noch verständlicher. Der wird nie mehr so ein Angebot bekommen wie nach dieser Saison. Der hätte hinter Mbappe und Endrick fast nie gespielt und wenn dann nicht mehr als 5-10min. Für ihn ist das Geld jetzt, im Gegensatz zu vielen anderen Fußballern die schon genug verdient haben, life changing.
Klar wünsch auch ich mir schönere Ziele als Katar oder Saudi Arabien aber who cares. Lasst die beiden machen. Sehr viel künstliche Aufregung mMn hier...
 

Verwandte Artikel

Kommentar nach Oviedo: Real muss Vinícius schützen

Während Real Madrids Gastspiels in Oviedo waren bereits vor dem Spiel, insbesondere...

Kommentar: Arda Güler hätte Real Madrids 10 nicht verdient gehabt

Kylian Mbappé ist es, der bei Real Madrid die 10 von Luka...

Wer den Lucas nicht ehrt, ist den Cristiano nicht wert

Mit Lucas Vázquez geht ein ganz besonderer Madridista. Einer, warum die Bindung...

Kommentar nach PSG-Desaster: Real hat ein Vinícius-Problem

Beim Debakel gegen Paris Saint-Germain bei der FIFA Klub-WM konnte sich kein...