
Erstmal grundsätzlich vorab: Bei keinem Klub lief in den letzten Jahren alles wunderbar, erst recht nicht bei den Top-Klubs – und das nicht nur wegen Corona. Jeder Klub hat irgendwo Dreck am Stecken, vor allem Top-Klubs. So wurden auch bei Real Madrid einige falsche Entscheidungen getroffen – sei es bezüglich Personal oder sonstige Investitionen und Entscheidungen – aber was der FC Barcelona allein in den letzten zwei Jahren veranstaltet hat, musste irgendwann zu einem großen Knall führen. Mittlerweile gab es viele, große Knalle in Katalonien, eine Kettenreaktion, an deren Ende nun der (zumindest angekündigte) Abschied von Superstar Lionel Messi steht, dem gefühlt einzigen Unantastbaren der letzten Jahre, der an Barças Gesamtsituation durch jährliches Verlängern und Auswringen jedoch nicht ganz schuldfrei ist.
Corona ist nicht der einzige Grund! Jahrelanges Misswirtschaften über dem gesunden Maß hat nun seine Folgen. Wer 80 bis 90 Prozent seiner Einnahmen für Gehälter einplant, muss irgendwann auf die berühmte Schnauze fallen (Laporta sprach sogar von „110 Prozent“ beziehungsweise ohne Messi „95 Prozent“). Jedes andere Unternehmen wäre längst insolvent und aufgelöst, aber weil Barcelona immernoch hunderte Millionen einnimmt, kann der Laden irgendwie am Laufen gehalten werden – wenn auch mehr und mehr auf Sparflamme. Man hat über seinen Verhältnissen gelebt, sich einen Schuldenberg über eine Milliarde angehäuft, aber es gab nicht nur finanzielle Fehltritte in den letzten Jahren. Zu oft hat sich der Klub chaotisch präsentiert und moralisch fragwürdige Entscheidungen getroffen. „Més que un club“ ist nur noch eine Hülse, ausgehöhlt von Josep Maria Bartomeu, aber nicht nur von ihm, sondern von vielen anderen auch: Vorstände, die mehr Macht wollten, Berater und Spieler, die mehr Geld wollten. Zeit für einen Rückblick, was in den letzten zwei Jahren passiert ist.
Ein Auswahl der unterschiedlichen Fehltritte des FC Barcelona:
- Frühjahr 2019: Illegale, weil zu frühe Verhandlungen mit Antoine Griezmann und spätere Strafzahlungen
- 4. Juli 2019: Vizepräsident Jordi Mestre tritt wegen Differenzen zurück („Barcelonas Vorstand ist gepalten“)
- 26. Juli 2019: Sportchef Pep Segura wird entlassen
- 26. September 2019: Carles Puyol lehnt Barça-Angebot ab
- 7. Oktober 2019: Nach nur drei Monaten: Barça entlässt U19-Trainer Víctor Valdés
- 28. Dezember 2019: Arturo Vidal verklagt Barcelona – als aktiver Spieler
- 13. Januar 2020: Entlassung von Ernesto Valverde (trotz Tabellenführung und Champions-League-Gruppensieg)
- 17. Januar 2020: Xavi lehnt Barça-Angebot erstmals ab
- 31. Januar 2020: Chaotische Absage an Cedric Bakambu, während der schon im Flieger nach Barcelona war
- 4. Februar 2020: Öffentlicher Streit: Nach einem Interview des damaligen Sportdirektors Eric Abidal kontert Lionel Messi via Instagram
- 5. Februar 2020: Streit mit Boca Juniors wegen Santiago Ramos Mingo
- 6. Februar 2020: Samuel Umtiti wegen Sachschaden zu 183.000 Euro verklagt
- 15. Februar 2020: Social-Media-Accounts gehackt – wie schon 2017
- 17. Februar 2020: „Barçagate”: Ex-Präsident Bartomeu bezahlte eine Firma, um Schmutzkampagnen auf Social Media gegen „Gegner“, darunter eigene Spieler, zu fahren
- 27. März 2020: Barcelona beantragt Kurzarbeit „ERTE“
- 10. April 2020: Rücktrittslawine: Sechs Vorstandsmitglieder treten zurück
- 17. August 2020: Barcelona entlässt Quique Setién
- 18. August 2020: Barcelona feuert Sportdirektor Eric Abidal
- 17. September 2020: Setién verklagt Barça
- 13. November 2020: Nächste Klage: Neymar verklagt Barça – erneut
- 27. November 2020: Vertragssituation von Setién und Co-Trainer Sarabia drei Monate nach Aus gelöst („besorgniserregende Situation“)
- 22. Dezember 2020: Barcelonas Basketball-Abteilung lässt einen Spieler (Thomas Heurtel) in Istanbul statt ihn mit nach Barcelona zurück zu nehmen, weil der mit Real Madrid verhandelt hat – die Spielerververeinigung „ELPA“ bezeichnete das als „unverzeihlich“
- 26. Januar 2021: Barça gibt Schulden über 1,17 Milliarden Euro bekannt
- 31. Januar 2021: 555 Millionen Euro! Messi-Vertrag geleakt
- Frühjahr 2021: Barça trennt sich von Jugend-Direktor Patrick Kluivert
- 1. März 2021: Razzia in den Büros des FC Barcelona, Ex-Präsident Bartomeu kurzzeitig festgenommen
- 5. Juni 2021: Xavi lehnt Barça-Angebot zum zweiten Mal ab
- 29. Juni 2021: Matheus Fernandes beschwert sich nach dubioser Vertragsauflösung
- 5. August 2021: Barça gibt Abschied von Lionel Messi bekannt
Das soll nur eine Auswahl sein. Neben anderen Kleinigkeiten (Pressekonferenzen in Autohäuser veranstaltet, Ärmel-Sponsor „beko“, mehrfaches Verschieben der Auszahlung der Mitarbeitergehälter) hat sich in den letzten Jahren in Barcelona nicht nur ein Schulden-, sondern auch ein Müllberg angehäuft, über den Fans gerne hinweg gesehen haben. Bartomeu mag die größte Schuld tragen, dass der Klub mehr und mehr am Boden liegt, aber auch Messi hat den Verein mehr und mehr ausgesaugt. Als sein 555-Millionen-Vertrag geleakt wurde, folgte nach dem Aufruhr prompt nach seinem ersten Tor Tweets wie „Darum verdient er 555 Millionen!“ Wo wäre da die Grenze? Hätten das Fans auch bei 666 Millionen geschrieben? Bei einer Milliarde? Das Ergebnis der scheinbar unendlichen Gier des Argentiniers – und primär seines Vaters und Beraters Jorge – sieht man jetzt. Mal nebenbei: Wenn er wirklich hätte bleiben wollen, dann hätte man auch irgendwie eine Lösung finden können – verdient hat er eigentlich genug in seinem Leben.
Das Wasser steht den Katalanen bis zum Hals, auch weil der Argentinier durch seine regelmäßigen Vertragsverlängerungen neue Arschbomben ins katalanische Becken setzte. Barcelona hat jahrelang getrickst und wollte das auch weiter tun, so verriet Bartomeu, man wollte Messi das Gehalt für zwei Jahre auf fünf Jahre zahlen, auch wenn der Argentinier nur bis 2023 verlängern sollte. Aber der finanzielle Spielraum in LaLiga ist endlich beschränkt, weswegen auch Real Madrid harte Einschnitte unternehmen musste: Beispielsweise wurde James Rodríguez verschenkt und auch für Sergio Ramos‘ Gehalt war kein Platz mehr. Bei den Königlichen mag noch lange nicht alles im grünen Bereich sein, und doch fahren sie in finanziell ruhigerem Fahrwasser, weil sie sich eher an die Regeln halten und das „Salary Cap“ für Real sogar erhöht wurde. Barça hat dagegen Schwierigkeiten alle Neuzugänge einzutragen, die Gehälter betragen „110 Prozent des gesamten Einkommen des Klubs. Die Zahlen sind deutlich schlechter, als wir sie zunächst erwartet haben“, wie Laporta bestätigt. Noch viel Arbeit liegt vor dem Barça-Präsidenten, vermutlich auch noch einige Fehltritte. Aber der Tiefpunkt dürfte längst erreicht sein.
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