
Ordentliche Statistik, außerordentlicher Einfluss
Drei Tore und ein Assist in LaLiga, ein weiterer Treffer in der Königsklasse in insgesamt 23 Einsätzen. Eine Statistik, die sich auf den ersten Blick gut, aber keineswegs überragend liest. Wenn man das Spiel von Luka Modrić beurteilt, muss man allerdings genauer hingucken: Der Kroate ist ein Feingeist, wie man ihn auf dem Fußballplatz nur selten findet, dem es stets gelingt, Lösungen zu finden und völlig neue, dynamische Spielsituationen zu schaffen, aus denen seine Mitspieler zum Torerfolg kommen. Oftmals spielt der 35-Jährige den drittletzten oder gar den vorvorletzten Pass vor einem Treffer – und hat somit immensen Einfluss auf das Spiel der Königlichen.
Besonders deutlich wurde der Wert des Weltfußballers von 2018 in dieser für Real Madrid so schwierigen Saison: Immer, wenn Trainer Zinédine Zidane und seine Schützlinge mit dem Rücken zur Wand standen, sprang der Kroate in die Bresche. So geschehen in der Frühphase der Saison vor dem richtungsweisenden Clásico gegen den FC Barcelona sowie im Spätherbst vor den Duellen mit dem FC Sevilla und Borussia Mönchengladbach – dem Beginn der jüngsten Erfolgsserie.
Der Meister des Übergangsspiels
Während Nebenmann Toni Kroos im Durchschnitt zwar mehr Ballkontakte sammelt und eine höhere Passquote aufweist und Casemiro als Abräumer der sicherlich zweikampfstärkste Akteur im königlichen Dreier-Mittelfeld ist, versteht es kein Madrilene so gut wie Modrić, die Statik einer Spielsituation mit nur wenigen Bewegungen oder gar einem feinen Pass völlig zu verändern. So ist der Kroate stets in der Lage, das Leder auch unter größtem Gegnerdruck zu kontrollieren und sich mit einer intelligenten Körpertäuschung oder einer flinken Bewegung aufzudrehen oder zu lösen, um das Spiel der Blancos dann abrupt zu beschleunigen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Blancos in der baskischen Kleinstadt Éibar, im Champions-League-Gruppenspiel mit KO-Charakter gegen Borussia Mönchengladbach oder im Clásico beim FC Barcelona antreten: Der Kreativkopf fordert den Ball immer da, wo es dem Gegner schnell wehtun kann – vor allem zwischen den gegnerischen Linien und in den Halbpositionen.

Wenn Modrić sich einmal in Spielrichtung aufgedreht hat oder das Leder bereits in offener Stellung empfangen hat, nimmt er auch mit seinen nunmehr 35 Jahren blitzschnell Tempo auf, scannt das Feld vornehmlich nach Tiefenlaufspielen und sucht dann oft direkte oder diagonale Vertikalität. Diese Fähigkeit haben im Team der Blancos nur wenige andere Spieler (Martin Ødegaard weist gewisse Parallelen auf) – kein Madrilene kombiniert Ballsicherheit, Passqualität und Übersicht jedoch so gut wie der WM-Finalist von 2018.

Zum kompletten Spieler wird Modrić dadurch, dass er mit seiner brillanten Schusstechnik einerseits auch selbst torgefährlich ist (immerhin 26 Tore in 366 Spielen für die Königlichen) und sich andererseits auch nicht zu schade ist, selbst in einem recht hohen defensive Verantwortung zu übernehmen, womit er sich von seinem kongenialen Partner Toni Kroos abhebt.
Leaderqualitäten: Feingeist Modrić geht voran – zumindest auf dem Platz
366 Spiele und schier unfassbare 17 (!) Titel sind die bisherige Ausbeute des Kroaten an der Concha Espina. Eins ist klar: In Madrid braucht der im ehemaligen Jugoslawien geborene Modrić, der während des Kroatien-Krieges flüchten musste und sich die Freude in einer düsteren Zeit nur durch den Fußball behielt, niemandem mehr etwas beweisen. Geformt durch die harte und verlustreiche Zeit des Krieges, hat „Lukita“ sich über die Stationen NK Zadar, Zrinjski Mostar, Dinamo Zagreb und Tottenham 2012 zum spanischen und europäischen Rekordmeister gezaubert.

Und gerade die Spielzeit 2020/21, in der für Real Madrid viele Dinge nicht reibungslos laufen, offenbart den immensen sportlichen und menschlichen Wert des Ausnahmekönners: Modrić fordert den Ball, geradezu ausnahmslos und in jeder Situation. Er versteckt sich nicht, geht stets voran und übernimmt Verantwortung. Von Sir Alex Ferguson eins als „bester Spieler der Premier League“ geadelt, wird der Kroate dieser Zuschreibung auch in seiner nunmehr neunten Saison in LaLiga gerecht. Das Wort Druck scheint im Vokabular des WM-Finalisten ohnehin nicht vorzukommen.
Fazit
Lässt man die bisherige Spielzeit Revue passieren, wird deutlich, dass „Lukita“ zweifelsohne einer der Faktoren ist, warum sich die Saison der Merengues nicht noch komplizierter als ohnehin schon darstellt. Das ist auch der königlichen Klubführung offenbar nicht verborgen geblieben: So sollen sich Spieler und Verein bereits grundlegend einig sein, das bis 2021 gültige Arbeitspapier um ein weiteres Jahr zu verlängern. Der 35-Jährige selbst sagte jüngst: „Ich will bei Real Madrid bleiben, solange ich mich gut fühle und dem Team helfen kann. Wenn man mich fragt – natürlich will ich bleiben und meine Karriere hier beenden. Wer würde das nicht wollen?“
Klar ist, dass ein Real Madrid ohne Luka Modrić zurzeit kaum denkbar scheint, auch weil die Alternativen im Kreativzentrum schlichtweg fehlen. Während Federico Valverde eher ein Box-to-Box Spieler ist, der primär von seiner Dynamik lebt und Marcos Llorente (Atlético) und Dani Ceballos (vorerst FC Arsenal) den Blancos den Rücken gekehrt haben, kommt Martin Ødegaard bislang noch wenig zum Zug. Da der Norweger jedoch am ehesten die Fähigkeiten des Kroaten auf den Platz zu bringen in der Lage ist, wäre ein Aufbau des Juwels in den kommenden Monaten wünschenswert – am liebsten an der Seite des Routiniers. Noch ist der Altmeister an der Concha Espina einfach unersetzbar.
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