
Ballbesitz hat oberste Priorität
MADRID. Ganz gleich, ob im Guardiola-typischen 4-3-3-System oder in einer der vielen, sich ständig wandelnden Varianten im Laufe einer Partie – der Katalane strebt in fast jedem Spiel ein möglichst hohes Maß an Spielkontrolle an. So implizieren die Ballbesitzanteile der „Citizens“ in der Premier League mit 66 Prozent (Premier-League-Spitzenwert) eine geradezu erdrückende Dominanz. Wie zu Barça-Zeiten versucht der hochgradig perfektionistisch veranlagte Guardiola, den Gegner mit einer enormen Anzahl an Pässen (durchschnittlich 673 Pässe) bei einer möglichst hohen Passquote (89 Prozent) müde zu spielen, um dann durch gezielte Offensivaktionen zum Erfolg zu kommen. Durch die damit verbundene drastische Minimierung der gegnerischen Ballbesitzzeit zielt Guardiolas Spielidee zudem darauf ab, seinem Gegenüber kaum Möglichkeiten zum Torerfolg zu erlauben.
Flexibel im Spielaufbau – variabel in die Tiefe
Im Gegensatz zu einem Großteil der anderen Teams, die auf eine 4-3-3-Grundordnung setzen, spielen die „Skyblues“ oftmals mit stark eingerückten Außenverteidigern, die auf diese Weise die gegnerischen Außenmittelfeldspieler im Zentrum binden und somit zugleich gut bespielbare Räume auf den Außenpositionen schaffen. Außerdem zielt diese Maßnahme darauf ab, das Überspielen der ersten gegnerischen Pressinglinie zu vereinfachen, indem im Zentrum eine Überzahlsituation hergestellt wird. Je nach Gegnerverhalten gestaltete City den Aufbau jedoch stets flexibel und kann diesen auch mühelos aus einer flachen Viererkette gestalten, die eine höhere Aktivität der offensiven Mittelfeldspieler am Spielaufbau durch gezieltes Besetzen der zentralen Halbpositionen erfordert.
Gelingt es der Guardiola-Elf, den Gegner durch einen 2-3-Aufbau tendenziell im Zentrum zu binden, erhöht City das Tempo nicht selten plötzlich enorm und setzt den Gegner mit vielfältigen Lösungsoptionen stark unter Druck. So suchen die technisch versierten und blitzschnellen Außenspieler, wie etwa Raheem Sterling oder Riyad Mahrez, auf der Außenposition oftmals Eins-gegen-Eins-Duelle, die sie in der Mehrzahl für sich entscheiden. Die daraus entstehende Überzahlsituation beinhaltet zahlreiche weitere Handlungsoptionen – beispielsweise zielstrebige Diagonaldribblings in Richtung Tor oder flache Hereingaben gegen die Laufrichtung der Abwehrspieler in den Rückraum. Und diese haben in der Ära Guardiola bereits unzählige Tore eingeleitet. Aber auch ein gezieltes Bespielen des Raumes zwischen gegnerischer Abwehr- und Mittelfeldlinie, präzise Bälle hinter die Abwehrreihe oder schnelle Spielverlagerungen gegen einen stark auf Ballseite eingerückten Gegner nutzt der englische Meister gerne, um aus dem Positionsangriff zum Abschluss zu kommen.
Die Blancos müssen sich also auf einen Gegner einstellen, der mehr als eine Idee und Lösung parat hat. Folglich wird es entscheidend sein, hellwach zu agieren, Situationen zu erfassen – und zugleich jedoch nicht vergessen auch selbst aktiv zu sein und den Gast aus Manchester selbst möglichst viele Aufgaben zu stellen.
Achtung vor dem Umschaltspiel
Obwohl Guardiola gemeinhin mit einem nahezu perfekten Positionsspiel im Stile des “Tiki Taka” in Verbdingung gebracht wird, gehört Manchester City ohne Zweifel zu den besten Kontermannschaften der Welt. Die perfekte Mischung aus pfeilschnellen Spielern wie Sterling oder dem zurzeit verletzen Leroy Sané, der nötigen Handlungsschnelligkeit nach Ballgewinn und dem konsequenten Attackieren des tornahen Raums kann jeder Abwehrreihe zum Verhängnis werden. Leichtsinnige Ballverluste oder eine nicht ausbalancierte Statik wie in den vergangenen Ligaspielen dürfen sich die Blancos also nicht erlauben.
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Pressingmaschine mit vereinzelten Schwächen
In den Phasen des Spiels, in denen der Tabellenzweite der Premier League nicht den Ball kontrolliert, ist der Ballgewinn stets das oberste Ziel. Dabei ist zwischen Pressing nach Ballverlusten und dem organisierten Pressing zu unterscheiden.
Verliert City den Ball, gehen sie sofort gezielt in ein Gegenpressing über. Dies wird vor allem dadurch ermöglicht, dass die „Skyblues“ schon in der Phase des eigenen Ballbesitzes derartig weit hochschieben und gleichzeitig die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen möglichst gering halten, sodass eine direkte und konsequente Rückeroberung des Spielgeräts nach Ballverlust blitzschnell möglich ist. Dabei nutzten die Guardiola-Schützlinge die aus den geringen Abständen resultierende Überzahl in Ballnähe. Da die europäischen Top-Mannschaften jedoch über Spieler mit hervorragenden individuellen Fähigkeiten verfügen, sind sie dazu in der Lage, Guardiolas Gegenpressing zu überspielen. Weil der Raum zwischen Torwart und Restverteidigung – oftmals zwei Innenverteidiger, die einen zentralen Angreifer im „Sandwich“ verteidigen – zudem aufgrund der hohen und eher zentralen Positionierung der Außenverteidiger naturgemäß sehr groß ist, bieten sich den Blancos hier vielversprechende Möglichkeiten.
Gelingt es den Königlichen tatsächlich, das Gegenpressing der „Citizens“ zu überspielen, müssen sie selbst mit gezielten und blitzschnellen Tiefenläufen den sich bietenden Raum nutzen. Auch ohne Eden Hazard hat Zinédine Zidane mit Karim Benzema oder Vinícius Júnior sicherlich vielversprechende Waffen in seinen Reihen.
Fehlendes Tempo in der Innenvertidigung
Ähnliche Möglichkeiten könnten sich auch aus dem organisierten Pressing des zumeist im Angriffs- oder hohen Mitteldpressing agierenden englischen Titelträgers ergeben: Sollte es den Madrilenen gelingen, die erste Pressinglinie aufgrund ihrer hohen individuellen Klasse zu überspielen, resultieren daraus zahlreiche Möglichkeiten, die Gäste unter Druck zu setzen. Besonders vielversprechend erscheint dabei das gezielte Einsetzen gruppentaktischer Mittel, etwa analog zum Heimspiel gegen Celta Vigo durch ein gezieltes Hinter- oder Überlaufen am Flügel mit anschließender Hereingabe in den Rückraum. Aber auch diagonale Bälle aus den zentralen Halbpostionen könnten die schnellen Angreifer der Blancos in den Rücken der City-Defensive bringen und somit aussichtsreiche Handlungsoptionen schaffen. Über das nötige Tempo und die technischen Fähigkeiten, das Spiel dann entscheidend zu beschleunigen, verfügen Spieler wie Daniel Carvajal, Ferland Mendy oder Isco zweifelsohne.
Dass die Verteidigung des Gastes aus Manchester bei Konterangriffen im bisherigen Saisonverlauf nicht immer souverän agierte, wurde zuletzt auch im Gastspiel bei Leicester City deutlich, als Jamie Vardy die „Foxes“ nach einem Leichtsinnsfehler im Spielaufbau bereits in der achten Minute hätte in Führung bringen müssen. Da die „Citizens“ weder mit dem erst kürzlich wiedergenesenen Aymeric Laporte noch mit Fernandinho oder Nicolas Otamendi über besonders schnelle Innenverteidiger verfügen, könnte ein zielstrebiges Vertikalspiel der Schlüssel zum Madrider Erfolg sein.
Guardiola „bewundert“ Real und erwartet großes Spiel
Hinsichtlich der konkreten Taktik deutete Guardiola lediglich an, dass sein Team selbst gewohnt initiativ zu Werke gehen wolle. „Wir werden versuchen, in einem der schönsten und prestigeträchtigsten Stadien mit unseren Waffen Tore zu erzielen“, sagte der Katalane gegenüber den Manchester Evening News. Seine Mannschaft wolle Real, das immerhin vier Champions-League-Titel binnen fünf Jahren eingefahren habe, nacheifern. „Für uns ist es extrem aufregend, hier zu sein“, so der City-Coach. Er bewundere Real Madrid, wolle aber trotzdem bis zum Ende für das Weiterkommen und einen möglichen Titelgewinn kämpfen.
Eines scheint also klar: Die Madrilenen bekommen es am Mittwochabend mit einem hungrigen Gegner zu tun, der nicht zuletzt aufgrund des 22-Punkte-Rückstandes auf Premier-League-Spitzenreiter Liverpool alle Energie für den Champions-League-Sieg mobilisieren wird. Wollen die Königlichen Teil eins der „Woche der Wahrheit” erfolgreich bestreiten, müssen sie konzentriert und aktiv zu Werke gehen – und benötigen die Unterstützung des Madridismo.
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