
Am Ende war das Ergebnis weitaus knapper als es das Spiel eigentlich hergegeben hätte. Dass Real Madrid mit dem 1:3 gegen den FC Barcelona im Finale der Supercopa de España durchaus glimpflich davon gekommen war, darüber herrschten nach Spielende keine Zweifel. Weil die Königlichen phasenweise fast etwas hilflos wirkten und überhaupt nicht stattfanden, drängt sich schnell die nach derart blutleeren Vorstellungen gern bemühte „Mentalitätsfrage“ auf, doch die Niederlage alleine an der möglicherweise fehlenden Einstellung festzumachen, würde deutlich zu kurz greifen. Federico Valverde legte den Finger nach dem Spiel zwar genau in jene Wunde („Uns hat die nötige Einstellung gefehlt.“), doch offenbarte der Clásico durchaus ein paar Baustellen, die vor allem struktureller Natur sind. REAL TOTAL mit vier Erkenntnissen zur Supercopa-Pleite.
1. Ein positionsgetreuer Ersatz für Tchouaméni fehlt
In Abwesenheit des verletzten Aurélien Tchouaméni entschied sich Carlo Ancelotti wie schon zunächst im Halbfinale gegen Valencia für die spielerische Lösung mit Toni Kroos auf der Sechs und Luka Modrić sowie Eduardo Camavinga davor. Und nicht zum ersten Mal ging jener Ansatz gegen ein spielstarken großen Gegner in die Hose. Während sich Kroos und Camavinga im Spielaufbau das eine oder andere Mal auf den Füßen standen oder im linken Halbraum sich gegenseitig die Räume zuliefen, fehlte es im Sechserraum oft an der nötigen Besetzung – sowohl als Auflösungsoption im Aufbau als auch als Absicherung für Barças Umschaltspiel. Es wurde wieder einmal deutlich: Fällt Tchouaméni aus, fehlt den Königlichen dieses Spielerprofil und erhöht die defensive Anfälligkeit um ein Vielfaches. Und diese Problematik ist keineswegs neu: Bereits die letzten Jahre hatte man mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, sobald Casemiro ausfiel. Jegliche Versuche, diese Lücke mit anderen Spielertypen zu füllen, gingen oftmals schief. Kroos liegt diese Rolle nur bedingt, weil seine Stärken nun mal nicht zwangsläufig im Spiel gegen den Ball liegen. Camavinga bringt zwar die physischen und technischen Voraussetzungen mit, ist in seinem Spiel aber noch zu roh und undiszipliniert bezüglich der nötigen Positionstreue. Spätestens das Finale hat mehr als deutlich gezeigt: Die Königlichen benötigen einen positionsgetreuen Ersatz für die Sechserposition – insbesondere, um in den Spitzenspielen einen Plan B zu haben.
2. Rüdiger rechtfertigt Status als Innenverteidiger Nummer drei nicht
Die interne Hierarchie in der Innenverteidigung ist für Ancelotti klar: Éder Militão und David Alaba sind – sofern fit – gesetzt, der im Sommer von Chelsea geholte Antonio Rüdiger ist die klare Nummer drei, Vereinsikone Nacho Fernández nur noch die Nummer vier. Aktuell rechtfertigt Rüdiger seinen Status als erste Ersatzoption im Zentrum aber nur bedingt, der schwache Auftritt im Clásico (REAL TOTAL-Note 5,5) war nicht der erste dieser Art in den letzten Wochen. Rüdiger offenbarte zuletzt immer wieder Probleme im Aufbau, brachte seine Teamkameraden durch unkluge Pässe ins Pressing (wie vor dem 0:1) in schwierige Situationen oder leistete sich selbst gefährliche, unnötige Ballverluste, welche in großen Torchancen mündeten. Auch defensiv schlichen sich immer von Zeit zu Zeit Unzulänglichkeiten ein. Nacho hingegen zeigte, wie man es von ihm kennt, bei seinen letzten Auftritten als Innenverteidiger hingegen stets eine stabile und abgeklärte Leistung. Rüdiger bringt – deswegen hat man ihn auch verpflichtet – vor allem physisch jegliche Attribute mit, die ihn in als Innenverteidiger in die Weltklasse aufsteigen lassen können. Aktuell sieht man das jedoch deutlich zu selten. Dass Ancelotti gegen Lewandowski lieber auf die Kopfballstärke des gebürtigen Berliners setzte, ist nachvollziehbar, dass man Nacho in den nächsten Wochen jedoch wieder öfters sieht, ist ebenfalls nicht ausgeschlossen.
3. Vinícius benötigt mehr Unterstützung
Es war eine immer wiederkehrende Szenerie in den letzten Wochen: Der Ball kommt während eines Konters zu Vinícius Júnior und der Brasilianer zieht in unnachahmlicher Manier in Richtung Tor, sieht sich plötzlich jedoch zwei, drei oder gar vier Gegenspielern ausgesetzt – und bleibt vollkommen auf sich allein gestellt. Ein Grund, weshalb die Lebensversicherung der vergangenen Spielzeit aktuell nicht wirklich funktioniert, ist die fehlende Unterstützung, insbesondere von der linken Verteidigerseite. So wichtig Ferland Mendy für die defensive Stabilität auch ist, Vinícius benötigt dringend einen Partner auf seiner Seite, der durch regelmäßige Läufe in die Tiefe und Überladungen Räume und Entlastung schafft. Momentan ist das Spiel der Königlichen viel zu berechenbar, viele Gegner scheinen mittlerweile sehr gut auf Vinícius eingestellt zu sein, weil ihm zumeist nur das Dribbling gegen zwei bis drei Gegenspieler bleibt. Dabei hilft auch das Ausweichen Benzemas auf den Flügel nur bedingt, da Vinícius überwiegend dazu tendiert, Richtung Mitte zu ziehen und dem Madrider Angriffsspiel somit eine Option abgeht, die für die nötige Breite sorgt. Hier müssen die Königlichen dringend nachjustieren, sei es durch taktische Anpassungen oder gar neue personelle Reize (Fran Garcia?), ansonsten beraubt man sich mit einem vom Rest der Mannschaft isolierten Vinícius einer seiner größten Waffen.
4. Ancelotti muss tiefen Block gegen spielstarke Gegner überdenken
In seiner Analyse nach der Partie sprach Ancelotti zwar hauptsächlich von „individuellen Fehlern“ und einem kollektiv „schlechten Spiel“, nichtsdestotrotz sollte man auch die allgemeine taktische Herangehensweise kritisch hinterfragen. Es war beileibe nicht das erste Mal, dass das abwartende Agieren in einem tiefen Block gegen einen auf ballbesitz fixierten, spielstarken Gegner gehörig in die Hose ging. Als Beispiele seien hier das PSG-Hinspiel (0:1), der Rückrunden-Clásico (0:4), phasenweise das City-Hinspiel (3:4) oder auch die 1:2-Niederlage gegen Villarreal in der Liga vor Wochenfrist zu nennen. Alle Spiele verliefen nach dem mehr oder weniger selben Muster: Real fand durch die eigene passive und abwartende Spielweise gegen den Ball überhaupt keinen Zugriff und geriet aufgrund großer Abstimmungsprobleme im Zentrum und einer schwachen Strafraumverteidigung phasenweise im Minutentakt in die Bredouille. Im Gegenzug ging der Plan, gegen jene Gegner über Vinícius, Benzema und Valverde im Umschaltspiel zum Erfolg zu kommen, überhaupt nicht auf, da die Unterstützung aus dem Mittelfeld komplett fehlte. Und dass das königliche Mittelfeld – insbesondere Kroos und Modrić – mit dieser Spielweise nur bedingt zurecht kommt, ist nun auch keine besonders neue Erkenntnis. Zumal man den Gegnern mit dieser Ausrichtung sogar eher entgegen kommt und sich selbst teilweise seiner eigenen Stärken beraubt. Ancelotti muss für die zukünftigen Spiele definitiv auch hier ansetzen.
Community-Beiträge