
Fast eine ganze Elf auf der Tribüne
MADRID. Als Real Madrids Nachholpartie vom 1. Spieltag der Primera División gegen den FC Getafe am Dienstagabend noch gar nicht angepfiffen war, bot sich den Fernseh-Zuschauern bereits ein etwas ungewöhnliches Bild.
Federico Valverde, Daniel Carvajal, Lucas Vázquez, Álvaro Odriozola, Éder Militão, Rodrygo Goes und Eden Hazard kamen aus dem warmen VIP-Bereich des Estadio Alfredo Di Stéfano hinaus auf die Tribüne und nahmen dort ihre Plätze ein, um die erste Halbzeit zu schauen. Wenig später gesellte Toni Kroos sich zu ihnen. Und Sergio Ramos wäre ebenso unter ihnen gewesen, hätte er sich nicht kürzlich erst am linken Innenmeniskus operieren lassen, weshalb er nach seinem Krankenhaus-Aufenthalt momentan Zuhause weilt.

Jeder der genannten Akteure fiel aus, bis auf den gelbgesperrten Kroos alle verletzungsbedingt. Dabei hätte jeder Einzelne von ihnen an diesem Abend eine extrem gute Chance darauf gehabt, in dem kleinen Derby von Anfang an mitzuwirken.
4-3-3 mit Isco? Der einfache Weg gewinnt nicht immer
Stattdessen aber kam es eben zu diesem eigenartigen Anblick, dass sich unweit der Bank und des Spielfelds auf den Rängen fast schon eine zweite Elf, die Elf der Abwesenden, bildete. Stattdessen musste Zinédine Zidane seine Improvisationskunst spielen lassen – so sehr wie wohl noch nie als Trainer der Königlichen.
Am einfachsten wäre es gewesen, hätte er weiter auf das 4-3-3 gesetzt, Ferland Mendy auf die rechte Seite gestellt und Isco im Mittelfeld für Kroos gemeinsam mit Luka Modrić und Casemiro agieren lassen. Weil der spanische Spielgestalter zuletzt angeschlagen war, daher erst unmittelbar vor der Partie wieder in das Team-Training zurückkehrte und ohnehin nur noch ein Schatten seiner selbst ist, ließ „Zizou“ sich aber etwas anderes einfallen.
In der Mannschaftssitzung am frühen Abend zeichnete er ein 3-4-3 auf die Taktiktafel. Ansage: Mendy, eigentlich Linksverteidiger, rückt mit in die Dreierkette, spielt dort innen auf der linken Seite. Als Außenbahnspieler Youngster Marvin Park (rechts), wegen der personell angespannten Lage eine der Aushilfe von der zweiten Mannschaft, und Marcelo (links). Eine Rolle, die der offensiv orientierte und defensiv nachlässige Brasilianer insgeheim ja eigentlich schon seit eh und je eingenommen hat.

Eigentlich kein Zeitpunkt für Experimente
Not macht erfinderisch. Isco und Mariano Díaz verblieben als einzige Profi-Feldspieler auf der Ersatzbank. Ein wirklich geeigneter Zeitpunkt zum Experimentieren war es weiß Gott nicht. Für das weiße Ballett ging es in dem Duell mit dem Madrider Vorstadtklub darum, den Rückstand zur Tabellenspitze auf fünf Punkte zu verkürzen, nachdem Klassenprimus Atlético mit einem 2:2 gegen Celta endlich ein lange erhoffter Patzer unterlaufen war.
Ausgerechnet dann – wenn auch eben zum Großteil gezwungenermaßen – griff Zidane auf eine Dreierkette, die bei gegnerischen Vorstößen zu einer Fünferkette wird, zurück. So spielen ließ er in einem Pflichtspiel zuletzt in der Saison 2016/17. Lange ist‘s her.
Der 48 Jahre alte Franzose hätte sich sicher sein können, eine Menge Kritik zu ernten, sofern es auch in diesem Heimspiel gegen Getafe mal wieder nicht zu einem Erfolg in der Liga gereicht hätte. Auch weil die Gäste um den in der zweiten Halbzeit eingewechselten Takefusa Kubo über weite Strecken zu mutlos und nicht giftig genug agierten, ging sein taktischer Kniff aber voll auf. Sein Mut wurde belohnt – durch die Führung von Karim Benzema, durch ein weiteres Tor von Mendy, durch eine insgesamt nicht spektakuläre, aber spielerisch sehr ordentliche Performance.
„Marcelo kann noch sehr nützlich sein“
Marcelo hatte daran seinen Anteil. Der Mann, dem angesichts seines seit einem Jahr an Mendy verlorenen Stammplatzes und seiner inzwischen 32 Jahre viele längst den Stempel des Auslaufmodells verpasst haben. In der Rückwärtsbewegung mag der brasilianische Vizekapitän den hohen Anforderungen immer weniger genügen. Doch so wie schon zuletzt bei seinem Auftritt gegen SD Huesca demonstrierte Marcelo erneut, dass er dem Team in rein spielerischer Hinsicht immer noch einen Mehrwert bietet.
Er agiert umtriebiger, ist auch mal zentral oder sogar auf der rechten Seite vorzufinden, wenn er offensiver aufgestellt und so von defensiven Verpflichtungen ein bisschen befreit wird. „Der Tag, an dem Marcelo so zu sein schien wie… Marcelo“, lobt die Sportzeitung MARCA den Routinier und konstatiert: „Er kann noch sehr nützlich sein.“ Wie passend, dass es die Nummer 12 war, die sechs Minuten nach Benzemas Führung den 2:0-Endstand vorbereitete.
Mendy auch innen hilfreich
Erzielt hatte es Mendy, bei dem angesichts seiner Rolle als linker Innenverteidiger bei dem einen oder anderen Anhänger der Madrilenen Vergleiche mit David Alaba aufkommen. Der Österreicher, der stark mit einer Unterschrift bei Real in Verbindung gebracht wird, verbrachte seine Karriere beim FC Bayern München über etliche Jahre auf der linken Abwehrseite, ehe Hansi Flick ihn zum dauerhaften Innenverteidiger umfunktionierte.
Bei Mendy wird es dazu sicherlich nicht kommen, zumindest kurz- und mittelfristig. Der 25-Jährige ist für die linke Außenverteidigung geholt worden und bleibt dort auch gesetzt. Heißt: 3-4-3? Nein, in der Regel dürfte es bei Aufstellungen mit einer Viererkette bleiben. Unwahrscheinlich nämlich, dass Zidane regelmäßig einen seiner geschätzten Akteure aus dem zentralen Mittelfeld – zwei statt drei Positionen im 3-4-3 – herausnimmt, um Marcelo auf dem Flügel wieder zum Stammspieler zu machen. Gegen Getafe hat er aber immerhin eine interessante Erkenntnis gewonnen: Der zweikampfstarke Mendy kann‘s auch innen.
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