
10. Juli 2018, 17:32 Uhr
MADRID. Dienstag, 10. Juli 2018, 17:32 Uhr: Da war er gekommen, der Moment, den so ziemlich jeder Fan und Sympathisant von Real Madrid verflucht hatte. In einer offiziellen Mitteilung auf ihrer Website gaben die Königlichen bekannt, Cristiano Ronaldo die Freigabe für einen Wechsel nach Italien zu Juventus Turin zu erteilen. Nach neun gemeinsamen Jahren und 16 gemeinsamen Titelerfolgen, an denen er mit seinen 450 Treffern in 438 Pflichtspieleinsätzen einen maßgeblichen Anteil hatte. Mehr Tore als Spiele. Wahnsinn.
Cristiano Ronaldo bester Real-Torjäger der Historie
Es war eine gigantische Ausbeute, mit der er sich als förmlich unantastbarer Rekordtorjäger der Vereinsgeschichte verabschiedete. Im September 2015 gelang es ihm, Raúl als solchen abzulösen. Die Legende hatte es in ihren 16 Profi-Jahren bei dem weißen Ballett – zwischen 1994 und 2010 – zu 323 Treffern gebracht. Mit einem am Ende überaus beeindruckenden Durchschnitt von 50 Toren pro Spielzeit erreichte Ronaldo die Marke des langjährigen Kapitäns schon zu Beginn seiner siebten Real-Saison.
Man mag sich kaum vorstellen, wie viele es geworden wären, würde Ronaldo das Trikot des ruhmreichsten Klubs der Welt bis zum Ende seiner aktiven Karriere tragen. Der Portugiese ist zwar 38 Jahre alt, wegen seiner körperlich starken Verfassung kommt er aber nach wie vor auf seine Treffer. Dass er seiner Laufbahn im Estadio Santiago Bernabéu keine Fortsetzung gab, begründete Ronaldo zu seinem Abschied diplomatisch damit, er brauche nach fast einem Jahrzehnt in Spanien noch mal eine neue Herausforderung. Damit sprach aber er aber nur einen geringen Teil der Wahrheit aus.
Zerwürfnis mit Pérez: „Seine Worte kamen nie vom Herzen“
Dem mehrfachen Weltfußballer mangelte es vielmehr an Wertschätzung seitens der Vereinsführung. Mit Vereinsführung gemeint: Florentino Pérez. Ronaldo fühlte sich bei seinen konstant guten Leistungen von dem Präsidenten nicht ausreichend gewürdigt. Das nahm er bei Gesprächen über eine erneute Vertragsverlängerung zur Kenntnis, als der Klubchef stur blieb und in puncto Gehalt keine Bereitschaft zeigte, 30 Millionen Euro pro Jahr zu zahlen. Oder, als er gerade den Ballon d‘Or gewann, Pérez aber öffentlich von Paris Saint-Germains Top-Star Neymar schwärmte, ihm Madrid schmackhaft machte.
„Ich habe vonseiten des Präsidenten gespürt, dass ich nicht mehr so wertgeschätzt werde wie am Anfang. Er betrachtete mich wie eine Geschäftsbeziehung. Was er mir sagte, kam nie vom Herzen. Die ersten vier, fünf Jahre hatte ich das Gefühl, Cristiano Ronaldo zu sein. Danach weniger. Der Präsident gab mir das Gefühl, als wäre ich nicht mehr unverzichtbar“, nahm Ronaldo wenige Monate nach seinem Weggang kein Blatt vor den Mund.
Cristiano Ronaldo dachte lange an Abgang aus Madrid
Schon im Sommer 2017 hatte es medial die Runde gemacht, dass der Goalgetter an der Concha Espina nicht mehr glücklich ist. Ronaldo blieb letztlich. Das Problem war jedoch mitnichten aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Über die folgende Saison hinweg nahm sein Transfer in die Serie A still und heimlich Formen an. „Cristiano sagte mir im Januar (2018; d. Red.), dass er bei Juventus spielen will“, so Jorge Mendes. Der einflussreiche Berater reagierte nach eigener Aussage zunächst verdutzt, gab seinem wichtigsten Klienten aber zu verstehen, dass ihm dieser Wunsch Befehl sei.
Das Gastspiel der „Alten Dame“ im April zum Champions-League-Viertelfinal-Rückspiel im Bernabéu-Stadion wurde für erste Verhandlungen genutzt. Mendes: „Dann gab es per Telefon weitere Gespräche und Schritt für Schritt wurde der Transfer möglich gemacht.“
Weil CR7 stets über den Stand der Dinge informiert worden war, ließ er also nicht grundlos wenige Momente nach dem Gewinn des Champions-League-Titels gegen den FC Liverpool eine Bombe platzen. „Es war sehr schön, bei Real Madrid gewesen zu sein“, lauteten seine schockenden Worte, wegen denen der dritte Königsklassen-Coup in Serie noch während der Feierlichkeiten auf dem Rasen des Olympiastadions in Kiew zu einer Nebensache geriet.

Ronaldo-Verkauf für Mitspieler ein schlechter Scherz
Es wurde ernst, wobei bis zu dem großen Knall, der Vermeldung des 117 Millionen Euro teuren Transfers, noch 45 Tage vergehen sollten. „Als die Gerüchte um Cristiano aufkeimten, haben wir in der Kabine Wetten abgeschlossen. Wir waren uns sicher, dass er bleiben wird“, gestand Mittelfeld-Ass Luka Modrić in der Folge. Teamkollege Marcelo reagierte ähnlich verwundert: „Wenn man den Urlaub beendet, in den Alltag von Real Madrid zurückkehrt und Cristiano dann nicht mehr da ist – das war schon sehr überraschend.“
Real geht ohne Ronaldo zunächst unter
Jetzt mussten sie ohne ihn klarkommen, erfolgreich sein. Und das schafften sie zunächst nicht. Während sich fortan Juventus über die Tore von Ronaldo freuen konnte, fehlten sie in Madrid an allen Ecken und Enden. Das Ergebnis ist bekannt: 2018/19 nur Platz drei in LaLiga mit 19 Punkten Rückstand auf die Spitze, ein letzten Endes deutliches Scheitern im Copa-del-Rey-Halbfinale am FC Barcelona (1:1, 0:3) und dann auch noch die Blamage im Champions-League-Achtelfinale gegen die Saison-Überraschung Ajax (2:1, 1:4). Desaster!
Wäre Real in der Königsklasse damals eine Runde weitergekommen, wäre es erneut zu einem Duell mit Juventus gekommen. Also auch zu zwei Wiedersehen mit Ronaldo. Absolute Highlights. Die „Bianconeri“ bekamen es stattdessen mit Ajax zu tun – und scheiterten ebenfalls (1:1, 1:2).
Weil das erste Champions-League-Jahr nach der großen Trennung für beide kläglich jäh endete, entstand der Eindruck: Real braucht Ronaldo, Ronaldo braucht Real. Aber das war seit dem 10. Juli 2018 um 17:32 Uhr nur noch Wunschdenken. Abgesehen davon: 2022 ist es den Merengues gelungen, den Henkelpott erstmals seit der Trennung abzuräumen. CR7 kehrte indes im August 2021 zu Manchester United zurück, wo es ihn aber keine anderthalb Jahre hielt. Ende Dezember 2022 heuerte er in Saudi-Arabien beim Al-Nassr FC an.
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